Trübe Wasser sind kalt
Eddings wohnt hier in der Nähe«, sagte ich.
»Ich glaube, ich sollte mit ihr reden.«
»Heute abend? So spät noch?« Der Schneebesen schlug leicht an den Schüsselrand.
»Vielleicht will sie sehr wohl heute abend reden, so spät noch«, sagte ich. »Man hat ihr gesagt, daß ihr Sohn tot ist, und das war auch schon alles.«
»Ja, ja«, murmelte Lucy. »Frohes Neues Jahr.«
Kapitel 7
Ich brauchte niemanden nach einer Meldeliste oder Telefonnummer zu fragen, weil die Mutter des toten Reporters die einzige Person mit dem Namen Eddings war, die in Windsor Farms wohnte. Laut Adreßbuch wohnte sie in der hübschen, von Bäumen gesäumten Sulgrave Street, die bekannt war wegen der Luxusvillen und der Tudor-Häuser, mit Namen wie Virginia House und Agecroft, die in den zwanziger Jahren in Kisten aus England herübergeschifft worden waren. Die Nacht war gerade erst angebrochen, als ich anrief, aber die Frau am Telefon klang, als hätte sie geschlafen.
»Mrs. Eddings?« sagte ich und nannte ihr meinen Namen. »Verzeihen Sie, ich fürchte, ich bin kurz eingenickt.« Sie klang ängstlich. »Ich sitze hier im Wohnzimmer und schaue fern. Meine Güte, ich weiß nicht einmal, was jetzt läuft. Vorher gab es My Brilliant Career auf PBS. Haben Sie das gesehen?«
»Mrs. Eddings«, hob ich wieder an, »ich habe ein paar Fragen über Ihren Sohn Ted. Ich bin die für diesen Fall zuständige Gerichtspathologin. Und ich hatte gehofft, wir könnten reden. Ich wohne nur ein paar Blocks von Ihnen entfernt.«
»Das hat man mir schon gesagt.« Ihre Stimme mit dem schweren Südstaatenakzent klang noch schleppender, tränenschwer. »Daß Sie in der Nähe wohnen.«
»Würde es Ihnen jetzt gleich passen, Mrs. Eddings?« fragte ich nach einer Pause.
»Ja, das wäre mir sehr recht. Und mein Name ist Elizabeth Glenn«, sagte sie und begann zu weinen.
Ich erreichte Marino zu Hause. Sein Fernseher lief so laut, daß ich nicht verstand, wie er noch irgend etwas anderes hören konnte. Er hatte noch jemanden in der anderen Leitung und wollte diesen Anrufer eindeutig nicht warten lassen. »Sicher, guck, was du herausfinden kannst«, sagte er, als ich ihm von meinem Vorhaben berichtete. »Ich selber stecke gerade bis zum Hals in einer Geschichte drin. Ich habe in Mosby Court eine Situation, die sich zu einem Aufstand entwickeln könnte.«
»Hat uns gerade noch gefehlt«, sagte ich. »Ich bin auf dem Weg dorthin. Sonst würde ich mitkommen.« Ich legte auf und zog mich dem Wetter entsprechend an, weil ich ja noch immer kein Auto hatte. Lucy telefonierte von meinem Büro aus mit Janet, wie ich aufgrund ihrer angespannten Haltung und ihres leisen Tonfalls vermutete. Ich winkte ihr vom Flur aus zu und deutete auf meine Uhr, daß ich in etwa einer Stunde zurück sei. Als ich das Haus verließ und in die kalte, feuchte Dunkelheit aufbrach, verkrochen sich meine Lebensgeister allmählich, wie eine Kreatur, die sich verstecken will. Nach einer Tragödie die Angehörigen zu treffen, blieb eine der grausamsten Begleiterscheinungen meines Berufs. Im Lauf der Jahre hatte ich die unterschiedlichsten Reaktionen erfahren, war schon zum Sündenbock gemacht worden, oder Familien hatten gebettelt, daß ich den Tod irgendwie ungeschehen machte. Ich hatte Menschen weinen, klagen, lärmen, toben oder überhaupt nicht reagieren sehen, und bei allem war ich immer die Ärztin, stets angemessen leidenschaftslos, aber freundlich, denn so hatte ich es gelernt.
Meine eigenen Gefühle mußte ich für mich behalten. Niemand bekam sie zu sehen, auch nicht während meiner Ehe, als ich eine Kunst daraus gemacht hatte, meine Stimmung zu verbergen oder unter der Dusche zu weinen. Ich erinnerte mich, daß ich einmal im Jahr einen großen Ausbruch hatte und Tony erzählte, ich sei allergisch gegen Pflanzen, Schalentiere, das Sulfid in Rotwein. Mein früherer Ehemann blieb ganz unbekümmert, weil er es nicht hören wollte.
Windsor Farms lag in unheimlicher Stille, als ich vom Fluß her dorthin kam. Nebel hing um die viktorianischen Eisenlaternen, die an England erinnerten, und obwohl in den meisten der herrschaftlichen Anwesen die Fenster erleuchtet waren, schien es so, als sei niemand auf. Laub lag wie feuchtes Zeitungspapier auf dem Pflaster, während der Regen herabklatschte und zu gefrieren begann. Erst jetzt fiel mir ein, daß ich dummerweise keinen Regenschirm mitgenommen hatte.
Als ich die Adresse in der Sulgrave erreicht hatte, war sie mir vertraut, weil ich den Richter
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