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Trübe Wasser sind kalt

Trübe Wasser sind kalt

Titel: Trübe Wasser sind kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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gab. Eines Tages, dachte ich, würde auch ich dazugehören, da ich so selten zur Messe ging. Sie war klein und etwas pummelig, und sie war nie im Kloster gewesen, flößte mir aber dennoch das gleiche Schuldgefühl ein wie die guten Nonnen, als ich ein Kind war. »Ich sehe Sie nicht oft hier zu dieser Stunde«, sagte sie. »Ich bin bloß vorbeigekommen«, antwortete ich. »Nach der Arbeit. Ich habe leider das Abendgebet versäumt.«
    »Das war am Sonntag.«
    »Natürlich.«
    »Aber ich freue mich, daß ich Sie auf dem Weg nach draußen noch getroffen habe.« Ihr Blick verweilte auf meinem Gesicht, und ich wußte, daß sie meine Not spürte. Ich sah die Bücherregale durch.
    »Kann ich Ihnen helfen, suchen Sie etwas Bestimmtes?« fragte sie.
    »Eine Ausgabe des Katechismus«, sagte ich. Sie durchquerte den Raum, zog eine aus dem Regal und gab sie mir. Es war ein großer Band, und ich fragte mich, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte, denn ich war im Augenblick sehr müde und bezweifelte, ob Lucy in der Verfassung war, so etwas zu lesen.
    »Vielleicht kann ich Ihnen mit noch etwas behilflich sein.« Ihre Stimme klang gütig.
    »Wenn ich vielleicht einen Augenblick mit dem Priester sprechen könnte, das wäre gut«, sagte ich.
    »Pater O'Connor macht Krankenbesuche.« Ihre Augen forschten weiter. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
    »Vielleicht ja.«
    »Wir können uns hier hinsetzen«, schlug sie vor. Wir zogen Stühle unter einem schlichten Holztisch hervor, der mich an di e Tische erinnerte, an denen ich als Mädchen in Miami in der Gemeindeschule gesessen hatte. Plötzlich fielen mir die Wunder ein, die mich auf den Seiten jener Bücher erwartet hatten, denn ich liebte es zu lernen, und jede geistige Flucht von daheim war ein Segen gewesen. Mrs. Edwards und ich saßen einander wie alte Freundinnen gegenüber, aber es fiel mir schwer, die Worte herauszubringen, da ich selten so offen sprach.
    »Ich kann nicht sehr ins Detail gehen, weil mein Problem mit einem Fall zu tun hat, an dem ich gerade arbeite«, hob ich an. »Ich verstehe.« Sie nickte.
    »Aber soviel kann ich sagen, daß ich an so etwas wie eine satanische Bibel gekommen bin. Nicht Teufelsanbetung an sich, aber etwas Böses.«
    Sie reagierte nicht, sondern schaute mir weiter in die Augen. »Und Lucy ebenfalls, meine dreiundzwanzigjährige Nichte. Sie hat das Buch auch gelesen.«
    »Und deshalb haben Sie Probleme?« fragte Mrs. Edwards. Ich holte tief Luft und fühlte mich ziemlich töricht. »Ich weiß, das klingt seltsam.«
    »Natürlich nicht«, sagte sie. »Wir dürfen die Macht des Bösen nie unterschätzen, und wir sollten es, wenn wir können, vermeiden, damit in Berührung zu kommen.«
    »Ich kann das nicht immer vermeiden«, sagte ich. »Das Böse bringt mir üblicherweise die Patienten ins Haus. Aber selten muß ich mir Dokumente wie das ansehen, von dem ich gerade spreche. Ich habe Alpträume gehabt, und meine Nichte benimmt sich unberechenbar und hat viel Zeit mit dem Buch verbracht. Ich bin tatsächlich ihretwegen besorgt. Deshalb bin ich hier.«
    »›Doch fahre fort in dem, was du gelernt hast und dessen Du Dir sicher bist‹«, zitierte sie. »Es ist wirklich so einfach.« Sie lächelte.
    »Ich bin nicht sicher, ob ich das begriffen habe«, antwortete ich. »Dr. Scarpetta, für das, was Sie mir eben anvertraut haben, gibt es kein Heilmittel. Ich kann nicht Hand auflegen und Ihnen die Dunkelheit und die schlimmen Träume vertreiben. Und Pater O'Connor kann das genausowenig. Wir haben kein Ritual und keine Zeremonie, die da helfen. Wir können für Sie beten, und das werden wir tun. Aber Sie und Lucy müssen jetzt einfach zu Ihrem Glauben zurückkehren. Sie müssen das tun, was Ihnen in der Vergangenheit Kraft gegeben hat.«
    »Deswegen bin ich heute hergekommen«, sagte ich wieder. »Gut. Sagen Sie Lucy, sie soll wieder in die Gemeinde zurückkehren und beten. Sie sollte in die Kirche gehen.« Was für ein Tag, dachte ich auf der Heimfahrt, und meine Ängste verstärkten sich nur noch, als ich zur Haustür hereinkam. Es war noch nicht ganz sieben, und Lucy war schon im Bett. »Schläfst du schon?« Ich setzte mich im Dunkeln neben sie und legte ihr die Hand auf den Rücken. »Lucy?« Sie antwortete nicht, und ich war dankbar, daß unsere Autos noch nicht eingetroffen waren. Sie hätte vielleicht versucht, zurück nach Charlottesville zu fahren. Ich hatte solche Angst, sie würde jeden schrecklichen Fehler von einst wiederholen.

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