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Trübe Wasser sind kalt

Trübe Wasser sind kalt

Titel: Trübe Wasser sind kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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»Lucy?« sagte ich nochmal. Sie drehte sich langsam zu mir herum. »Was?«
    »Ich wollte nur wissen, was mit dir ist«, sagte ich in gedämpftem Ton.
    Ich sah, wie sie sich die Augen rieb, und erkannte, daß sie nicht schlief, sondern weinte. »Was hast du denn?« sagte ich. »Nichts.«
    »Ich weiß, daß du was hast. Und es wird Zeit, daß wir miteinander reden. Du warst nicht ganz bei dir, und ich möchte helfen.« Sie wollte nicht antworten.
    »Lucy, ich werde so lange hier sitzen bleiben, bis du mit mir sprichst.«
    Sie schwieg noch eine Weile, und ich konnte die Bewegung ihrer Augenlider sehen, während sie zur Decke starrte. »Janet hat es ihnen gesagt«, meinte sie. »Sie hat es ihren Eltern gesagt.
    Sie haben sich mit ihr gestritten, als wüßten sie mehr über ihre Gefühle als Janet selber. Als täuschte sie sich über sich selber.« Ihre Stimme wurde zorniger, und sie richtete sich auf und stopfte sich Kissen hinter den Rücken.
    »Sie wollen, daß sie zu einer Beratung geht«, fügte sie hinzu. »Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich weiß nicht so genau, was ich sagen soll, außer daß das Problem bei ihnen liegt und nicht bei euch beiden.«
    »Ich weiß nicht, was sie tun wird. Es ist schon schlimm genug, daß wir uns Sorgen darüber machen müssen, daß das FBI etwas herausbekommt.«
    »Du mußt stark und treu dir selbst gegenüber bleiben.«
    »An manchen Tagen weiß ich echt nicht mehr, wer ich bin.« Sie wurde noch aufgebrachter. »Ich hasse das. Es ist so schwer. Es ist so unfair.« Sie lehnte den Kopf an meine Schulter. »Warum habe ich nicht so werden können wie du? Warum konnte es nicht leicht sein?«
    »Ich bin nicht sicher, ob du wie ich sein willst«, sagte ich. »Mein Leben ist sicher nicht einfach, und nichts, was wirklich zählt, ist leicht. Du und Janet, ihr könnt das doch klären, wenn ihr es wirklich wollt. Und wenn ihr euch wirklich liebt.« Sie holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. »Kein destruktives Benehmen mehr.« Ich stand im Schatten ihre s Zimmers vom Bett auf. »Wo ist das Buch?«
    »Auf dem Schreibtisch«, sagte sie.
    »In meinem Büro?«
    »Ja. Ich hab's dort hingelegt.«
    Wir sahen einander an, und ihre Augen glänzten. Sie schnieft e laut und schneuzte sich.
    »Verstehst du, warum es nicht gut ist, sich auf so etwas länger einzulassen?« fragte ich.
    »Vergiß nicht, womit du dich die ganze Zeit abgeben mußt.
    Da fällt das doch nicht ins Gewicht.«
    »Nein«, sagte ich, »was ins Gewicht fällt, ist das Wissen, wo man steht und wo man nicht stehen soll. Du mußt die Macht eines Feindes in dem Maße respektieren, wie du sie verachtest. Sonst wirst du verlieren, Lucy. Das solltest du lieber im Kopf behalten.«
    »Ich verstehe«, sagte sie leise und griff nach dem Katechismus, den ich ans Fußende gelegt hatte. »Was ist das, muß ich das alles heute nacht lesen?«
    »Das habe ich in der Kirche für dich mitgenommen. Ich dachte, du würdest da vielleicht gern mal reinschauen.«
    »Vergiß die Kirche«, sagte sie. »Warum?«
    »Weil sie mich vergessen hat. Die Kirche hält Leute wie mich für anormal, als müßte ich für meine Orientierung in die Hölle oder ins Gefängnis. Davon rede ich. Du kennst nicht das Gefühl, isoliert zu sein.«
    »Lucy, ich bin die meiste Zeit meines Lebens isoliert gewesen.
    Du weißt doch erst, was Diskriminierung ist, wenn du eine von nur drei Frauen in deinem Medizinseminar bist. Oder wenn beim Jurastudium die Männer dir nicht ihre Mitschriften zur Verfügung stellen wollen, wenn du krank warst und die Vorlesung versäumt hast. Deshalb werde ich nicht krank. Deshalb betrinke ich mich nicht und verstecke mich nicht im Bett.« Ich schlug einen scharfen Ton an, weil ich wußte, das war notwendig. »Das ist was anderes«, sagte sie.
    »Ich glaube, du willst dir einreden, es sei etwas anderes, damit du Ausflüchte machen und dich selbst bemitleiden kannst«, sagte ich. »Mir scheint, wenn hier jemand vergißt und abweist, dann bist du es. Es ist nicht die Kirche. Es ist nicht die Gesellschaft. Es sind nicht einmal Janets Eltern, die es einfach nicht begreifen mögen. Ich dachte, du wärst stärker.«
    »Ich bin stark.«
    »Also, mir reicht's«, sagte ich. »Du kommst hierher, besäufst dich und ziehst dir die Decke über den Kopf, so daß ich mir den ganzen Tag Sorgen um dich mache. Und wenn ich dir dann helfen will, stößt du mich und alle anderen weg.« Sie sah mich schweigend an. Endlich sagte sie: »Bist du wirklich meinetwegen in

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