Trübe Wasser sind kalt
Webster lag halb auf dem Rücken, halb auf der Seite, Arme und Beine ungewöhnlich verrenkt. Unter seinem Kopf hatte sich eine große Blutlache gebildet. Ich ließ den Lichtstrahl langsam über ihn wandern und sah an seinem Pullover und seiner Jeans überall Schmutz und Gras. Laubreste und anderer Unrat hatten sich in seinem blutverkrusteten Haar verfangen. »Er ist den Hang hinabgerollt«, sagte ich, als mir auffiel, daß einige Halterungen an seiner roten Knieschiene aufgegangen waren und Unrat im Klettverschluß hing. »Er war bereits tot oder beinahe tot, als er hier liegenblieb.«
»Ja ja, ich glaube, es ist ziemlich eindeutig, daß er dort oben erschossen wurde«, sagte Marino. »Meine erste Frage war, ob er geblutet hat, während er zu entkommen versuchte. Und er schafft es etwa bis dahin, bricht dann zusammen und rollt den Rest der Strecke.«
»Oder vielleicht wurde er in dem Glauben gelassen, er hätte eine Chance zu entkommen.« Gefühl schlich sich in meine Stimme. »Siehst du seine Knieschiene? Kannst du dir ungefähr vorstellen, wie langsam er sich bewegt haben muß, als er versuchte, den Pfad hinabzugelangen? Weißt du, wie es ist, mit einem maroden Bein sich hier runterzuquälen?«
»Da hat irgendein Arschloch auf Fische in der Tonne geschossen«, sagte Marino.
Ich antwortete ihm nicht, sondern richtete den Lichtstrahl auf Gras und Müll am Hang zur Straße. Blutstropfen glitzerten dunkelrot auf einem plattgedrückten Milchkarton, der schon von Wind und Wetter ausgebleicht war. »Was ist mit seiner Brieftasche?« fragte ich. »Die war in seiner Gesäßtasche. Elf Dollar und Kreditkarten noch drin«, sagte Marino, dessen Augen in ständiger Bewegung waren.
Ich machte Aufnahmen, kniete mich dann neben die Leiche und drehte sie so, daß ich mir Dannys zerschmetterten Hinterkopf besser ansehen konnte. Ich befühlte seinen Nacken, der noch warm war. Das Blut unter ihm gerann noch. Ich öffnete meine Arzttasche.
»Hier.« Ich entfaltete eine Plastikplane und gab sie Marino. »Halt das mal, während ich seine Temperatur messe.« Er schützte die Leiche vor fremden Blicken, während ich Jeans und Unterhose herunterstreifte, wobei ich feststellte, daß beide besudelt waren. Obwohl es nicht ungewöhnlich war, daß Menschen im Augenblick des Todes urinierten und defäkierten, so reagierte der Körper damit manchmal auch auf entsetzliche Angstzustände.
»Hast du eine Ahnung, ob er mit Drogen herumgemacht hat?« fragte Marino.
»Ich habe keinen Anlaß zu dieser Vermutung«, sagte ich. »Aber keine Ahnung.«
»Sah es bei ihm zum Beispiel so aus, als würde er über seine Verhältnisse leben? Ich meine, wieviel hat er verdient?«
»Er hat etwa einundzwanzigtausend Dollar im Jahr verdient. Ich weiß nicht, ob er über seine Verhältnisse gelebt hat. Er hat noch zu Hause gewohnt.«
Die Körpertemperatur betrug 35 Grad, und ich plazierte das Thermometer auf meine Tasche, um auch die Temperatur der umgebenden Luft zu messen. Ich bewegte Arme und Beine; die Totenstarre hatte erst in kleinen Muskeln eingesetzt, an Fingern und Augen. Danny war noch warm und beweglich wie zu Lebzeiten, und als ich mich dicht über ihn beugte, konnte ich immer noch sein Rasierwasser riechen und wußte, ich würde es auf ewig wiedererkennen. Ich vergewisserte mich, daß die Plane völlig unter ihm lag, dann drehte ich ihn auf den Rücken, und als ich nach anderen Wunden suchte, trat noch Blut aus.
»Wann bist du angerufen worden?« fragte ich Marino, der sich langsam auf den Tunnel zubewegte, das wirre Gestrüpp aus Ranken und Büschen mit der Lampe ausleuchtend. »Einer der Anwohner hat einen Schuß in dieser Gegend gehört und um neunzehn Uhr fünf die Polizei verständigt. Wir haben dein Auto und ihn etwa fünfzehn Minuten später gefunden. Es handelt sich also um etwa zwei Stunden. Stimmt das mit deinen Erkenntnissen überein?«
»Die Temperatur ist nahe dem Gefrierpunkt. Er ist dick angezogen und hat nur etwa zwei Grad verloren. Ja, das kommt hin. Könntest du mir mal die Tüten da reichen? Wissen wir, was mit dem Freund passiert ist, der Lucys Suburban fahren sollte?«
Ich stülpte mir die braunen Papiertüten über die Hände und befestigte sie mit Gummis an den Gelenken, um fragile Beweismaterialien zu erhalten, wie Schmauchspuren oder Fasern unter den Fingernägeln, falls er mit seinem Angreifer gerungen hatte. Aber das hielt ich nicht für wahrscheinlich. Was auch geschehen war, ich vermutete, daß Danny genau das
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