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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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hatte ihre Schwiegermutter immer gemocht, und über die Jahre war ihre Zuneigung so gewachsen, daß sie sich Margaret viel näher fühlte als ihren eigenen unnahbaren und distanzierten Eltern. Es schien ihr zuweilen, als habe sie alles, was sie über Liebe und Leidenschaft wußte, von den Elliots gelernt.
    »Hi, Mom. Ich bin’s«, sagte Claire.
    »Siebzehn Grad und sonnig heute in Baltimore«, erwiderte Margaret, und Claire mußte lachen. Seit sie nach Tranquility gezogen war, hatte sich dieser Austausch von Wetterberichten zu einem privaten Gag zwischen ihnen entwickelt. Margaret war dagegen gewesen, daß sie von Baltimore wegging.
    »Du hast keine Ahnung, was richtige Kälte ist«, hatte sie Claire gewarnt, »und ich werde nicht aufhören, dich daran zu erinnern, was du zurückgelassen hast.«
    »Hier sind es zwei Grad plus«, meldete Claire pflichtbewußt. Sie sah aus dem Fenster. »Es wird kälter. Dunkler.«
    »Hat Noah dir gesagt, daß ich schon mal angerufen habe?«
    »Ja. Und es geht uns gut. Wirklich.«
    »Wirklich?«
    Claire schwieg. Margaret war ungewöhnlich geschickt darin, Gefühle und Stimmungen aus dem Klang einer Stimme herauszulesen, und sie hatte längst erkannt, daß etwas nicht stimmte.
    »Noah hat mir gesagt, daß er wieder hierherziehen will«, sagte Margaret.
    »Wir sind doch gerade erst umgezogen.«
    »Du kannst immer noch deine Meinung ändern.«
    »Jetzt nicht mehr. Ich bin hier zu viele Verpflichtungen eingegangen. Die neue Praxis, das Haus –«
    »Das sind Verpflichtungen gegenüber Dingen, Claire.«
    »Nein, eigentlich sind es Verpflichtungen Noah gegenüber. Ich muß hierbleiben, ihm zuliebe.« Sie hielt inne, und ihr wurde plötzlich bewußt, daß sie, so sehr sie Margaret liebte, so etwas wie Verärgerung spürte. Und sie hatte allmählich genug von den sanften, aber beständig wiederholten Andeutungen, daß sie nach Baltimore zurückgehen sollte. »Es ist immer schwer für einen jungen Menschen, einen neuen Anfang zu machen, aber er wird sich hier einleben. Er ist noch zu jung, um zu wissen, was er will.«
    »Das ist wohl wahr. Und du selbst? Willst du immer noch dort leben?«
    »Warum fragst du, Mom?«
    »Weil ich weiß, daß es mir schwerfallen würde, in eine neue Stadt zu ziehen. Meine Freundinnen zurückzulassen.«
    Claire starrte in den Spiegel über der Frisierkommode. Sie sah ihr eigenes müdes Gesicht, sah das Spiegelbild ihres Schlafzimmers, dessen Wände bis auf wenige Bilder immer noch kahl waren. Es war nicht mehr als eine Ansammlung von Möbeln, ein Platz zum Schlafen. Es war noch nicht Teil eines richtigen Heims.
    »Eine Witwe braucht ihre Freundinnen, Claire«, sagte Margaret.
    »Vielleicht war das einer der Gründe, weshalb ich fortgehen mußte.«
    »Was meinst du damit?«
    »Ich war doch für alle nur die Witwe. Ich ging in die Klinik, und die Leute warfen mir diese traurigen, mitleidigen Blicke zu. Sie trauten sich nicht, zu lachen oder Witze zu reißen, wenn ich in der Nähe war. Und niemand, niemand wagte jemals über Peter zu sprechen. Es war, als glaubten sie, ich würde schluchzend zusammenbrechen, wenn sie nur seinen Namen erwähnten.«
    In der Leitung war es still, und Claire bereute plötzlich ihre Offenheit.
    »Das heißt nicht, daß ich jemals aufhöre, ihn zu vermissen, Mom«, sagte sie leise. »Ich sehe ihn jedesmal vor mir, wenn ich Noah anschaue. Die Ähnlichkeit ist so verblüffend. Es ist, als ob man zusieht, wie Peter heranwächst.«
    »Und das in mehr als einer Hinsicht«, sagte Margaret,
    und Claire hörte mit Erleichterung, daß die Wärme nicht aus der Stimme ihrer Schwiegermutter gewichen war. »Peter war alles andere als ein pflegeleichtes Kind. Ich glaube, ich habe dir nie erzählt, was er so alles angestellt hat, als er in Noahs Alter war. Da hat Noah seine Flausen her, weißt du – von Peter.«
    Claire mußte lachen. Von mir hat er sie bestimmt nicht, seiner stinklangweiligen, gewissenhaften Mutter, deren schwerstes Vergehen es war, sich nicht um diese Sicherheitsplakette zu kümmern.
    »Noah hat ein gutes Herz, aber er ist eben erst vierzehn«, sagte Margaret im Tonfall freundschaftlicher Warnung. »Du solltest nicht allzu schockiert sein, wenn es noch mehr Ärger gibt.«
    Später, als Claire wieder nach unten ging, bemerkte sie den Geruch von brennenden Streichhölzern und dachte: Na bitte, da haben wir’s schon: noch mehr Ärger. Er raucht mal wieder heimlich. Sie folgte dem Geruch bis zur Küche und blieb in der Tür stehen.
    Noah

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