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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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brauchen die Flinte nicht«, hörte er Pete sagen. »Gehen Sie einfach ins Haus zurück, und wir werden uns um die Sache kümmern.«
    »So, wie Sie sich das letzte Mal drum gekümmert haben?«
    »Das letzte Mal habe ich nichts gefunden.«
    »Das liegt daran, daß Sie so verdammt lange brauchen, bis Sie hier sind.«
    »Was ist das Problem?« fragte Lincoln.
    Vern drehte sich zu ihm um.
    »Sind Sie das, Chief Kelly? Dann sagen Sie doch diesem – diesem Burschen hier, daß ich nicht daran denke, meinen einzigen Schutz rauszurücken.«
    »Ich verlange ja nicht, daß Sie die Flinte rausrücken«, sagte Pete mit müder Stimme. »Ich möchte nur, daß Sie aufhören, damit rumzuwedeln. Gehen Sie rein und stellen Sie die Waffe weg, damit es nicht noch Verletzte gibt.«
    »Ich halte das für einen guten Vorschlag«, mischte sich Lincoln ein. »Wir wissen nicht, womit wir es zu tun haben, also gehen Sie rein und schließen Sie die Tür ab, Vern. Bleiben Sie in der Nähe des Telefons, für den Fall, daß Sie für uns Verstärkung rufen müssen.«
    »Verstärkung?« Vern grunzte. »Ja, geht in Ordnung. Mach ich.«
    Die beiden Polizisten warteten, bis der alte Mann ins Haus gestapft war und die Tür geschlossen hatte.
    Dann sagte Pete: »Er ist blind wie ein Maulwurf. Ich wäre froh, wenn wir ihm diese Schrotflinte wegnehmen könnten. Jedesmal, wenn ich hierherkomme, rechne ich schon fast damit, daß ich eine Ladung Schrot in den Kopf kriege.«
    »Worum geht’s überhaupt?«
    »Ach, das ist schon das dritte Mal, daß er den Polizeiruf angeklingelt hat. Und ich hab’ immer alle Hände voll zu tun mit all den anderen Notrufen, deshalb dauert es eine Weile, bis ich hiersein kann. Es geht immer um die gleiche Sache – irgendein wildes Tier, das um seine Schafherde herumschleicht. Wahrscheinlich sieht er bloß seinen eigenen Schatten, sonst nichts.«
    »Warum ruft er denn uns an?«
    »Weil die Forstbehörde noch länger braucht, bis sie reagiert. Ich war die Woche schon zweimal hier und hab nichts gefunden. Nicht mal die Spur von einem Kojoten. Aber Vern war noch nie so aus dem Häuschen wie heute. Ich dachte, ich ruf dich besser her, nur für den Fall, daß er auf die Idee kommt, mich abzuknallen anstatt irgendein wildes Tier.«
    Lincoln warf einen Blick auf das Haus und sah die Silhouette des alten Mannes am Fenster. »Er spioniert. Tun wir ihm halt den Gefallen und sehen wir uns ein bißchen um.«
    »Er sagt, er hat das Tier drüben bei der Scheune gesehen.«
    Pete schaltete seine Taschenlampe ein, und sie überquerten den Hof in Richtung der blökenden Schafe. Lincoln spürte bei jedem Schritt den Blick des alten Mannes. Lassen wir ihm eben seinen Willen, dachte er. Selbst wenn es reine Zeitverschwendung ist.
    Er wurde aufgeschreckt, als Pete plötzlich stehenblieb und seine Taschenlampe auf die Scheunentür richtete.
    Sie stand offen.
    Etwas war nicht in Ordnung. Es war nach Einbruch der Dunkelheit, und die Tür sollte verriegelt sein, um die Tiere zu schützen.
    Er schaltete seine Taschenlampe ebenfalls ein. Den zuckenden Lichtstrahlen folgend, näherten sie sich mit langsameren Schritten der Scheune. Am Eingang blieben sie stehen. Selbst durch die kräftige Mischung von Bauernhofdüften hindurch konnten sie ihn wahrnehmen: den Geruch von Blut.
    Sie betraten die Scheune. Sofort wurde das Blöken lauter; ein beunruhigendes Geräusch, so wie die Schreie verängstigter Kinder. Pete ließ den Strahl seiner Taschenlampe in weitem Bogen durch die Scheune schweifen, und ihre Blicke fielen auf Heugabeln, flatternde Hühner und Schafe, die sich ängstlich in ihrem Pferch zusammendrängten.
    Auf dem mit Sägemehl bedeckten Boden lag die Quelle des üblen Geruchs.
    Pete stolperte als erster aus der Scheune heraus; er stützte sich mit einer Hand an der Scheunenwand ab und übergab sich. »O mein Gott. O mein Gott.«
    »Es ist nur ein totes Schaf«, sagte Lincoln.
    »Ich hab noch nie erlebt, daß ein Kojote so was macht. Die ganzen Eingeweide rausgerissen ...«
    Lincoln richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf den Boden in der Nähe der Scheunentür. Er sah nur ein Durcheinander von Stiefelabdrücken; seine eigenen, die von Pete und die von Vern Fuller. Keine Spuren von Tieren. Wie war es möglich, daß ein Tier keine Fährte hinterließ?
    Ein Zweig knackte hinter ihm. Er wirbelte herum und sah Vern, der immer noch die Schrotflinte in der Hand hielt.
    »Es ist ein Bär«, sagte der Alte. »Das ist’s, was ich gesehen hab. Ein

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