Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
Bär.«
    »Ein Bär würde so was nicht machen.«
    »Ich weiß, was ich gesehen hab. Warum glauben Sie mir denn nicht?«
    Weil jeder weiß, daß du fast blind bist.
    »Er ist weggelaufen, in den Wald«, sagte Vern und zeigte auf den Waldrand, der das Grundstück begrenzte. »Ich bin ihm bis dahin gefolgt, gerade bevor es dunkel wurde. Dann hab ich ihn verloren.«
    Lincoln sah, daß die Stiefelspuren tatsächlich zum Wald führten, aber Vern war mehrmals hin und her gelaufen und hatte so alle eventuellen Fährten verwischt.
    Er folgte der Spur bis zum Waldrand. Dort blieb er einen Augenblick stehen und starrte angestrengt in die Dunkelheit. Die Bäume standen so dicht, daß sie eine undurchdringliche Mauer zu bilden schienen, gegen die auch das Licht seiner Taschenlampe nicht ankommen konnte.
    Inzwischen hatte sich Pete gefaßt und stand nun neben ihm.
    »Wir sollten warten, bis es hell wird«, flüsterte er. »Wir wissen nicht, womit wir es zu tun haben.«
    »Ich weiß, daß es kein Bär ist.«
    »Tja, nun, vor Bären hab ich keine Angst. Aber wenn es was anderes ist ...« Pete zog seine Waffe. »Angeblich ist letzte Woche drüben bei Jordan Falls ein Puma gesichtet worden.«
    Jetzt zog auch Lincoln seine Pistole, während er langsam in den Wald eindrang. Er machte ein halbes Dutzend Schritte, und das Knacken der Zweige unter seinen Sohlen schien laut wie Gewehrfeuer. Plötzlich erstarrte er, den Blick unverwandt auf den Wall aus Bäumen gerichtet. Der Wald schien näherzurücken. Seine Nackenhaare sträubten sich.
    Da draußen ist irgendwas. Es beobachtet uns.
    Alles in ihm schrie nach Flucht. Sein Herz raste, als er zurückzuweichen begann. Jeder Schritt auf dem mit trockenen Zweigen bedeckten Boden löste eine kleine Explosion aus. Erst als er und Pete den Wald ganz hinter sich gelassen hatten, wich allmählich das Gefühl unmittelbarer Bedrohung.
    Sie standen wieder vor Vern Fullers Scheune, wo die Schafe noch immer blökten. Er betrachtete die Stiefelspuren. Plötzlich hob er den Kopf.
    »Was liegt hinter diesem Wald?« fragte er.
    »Zieht sich ein ganzes Stück«, meinte Vern. »Auf der anderen Seite ist die Barnstown Road. Da gibt’s ein paar Häuser.«
    Häuser, dachte Lincoln. Familien.
    Noah saß vor dem Fernseher, als Claire nach Hause kam. Als sie ihren Mantel im Flur aufhängte, erkannte sie die Titelmusik der Simpsons, die aus dem Wohnzimmer drang, und sie hörte Homer Simpsons lautes Rülpsen und Lisa Simpsons angewidertes Murren. Dann hörte sie ihren Sohn lachen, und sie dachte: Ich bin so froh, daß mein Sohn immer noch über Trickfilme lachen kann.
    Sie ging ins Wohnzimmer und sah Noah auf der Couch sitzen, in die Kissen zurückgesunken, sein Gesicht für einen Moment vom Lachen aufgehellt. Er sah sie an, sagte aber nichts.
    Sie setzte sich neben ihn und legte die Füße neben seine auf den Couchtisch. Große Füße, kleine Füße, dachte sie und lächelte innerlich. Noahs Füße waren inzwischen so groß, daß sie neben ihren fast wie Clownslatschen aussahen.
    Auf dem Fernsehschirm hüpfte ein ungeheuer fetter Homer in einem geblümten Kleid herum und stopfte sich Essen in den Mund.
    Noah lachte wieder, und Claire lachte auch. Genau so wollte sie den Rest des Abends verbringen. Sie würden zusammen fernsehen und zum Abendbrot Popcorn essen. Sie beugte sich zu ihm hin, und sie stießen zärtlich mit den Köpfen aneinander.
    »Es tut mir leid, Mom«, sagte er.
    »Schon gut, Schatz. Es tut mir leid, daß ich dich so spät abgeholt habe.«
    »Oma Elliot hat angerufen. Gerade vor kurzem.«
    »Ach? Wollte sie, daß ich zurückrufe?«
    »Ich glaube schon.« Er wandte sich wieder dem Fernseher zu und schwieg auch noch, als die Werbung lief. Dann sagte er: »Oma wollte wissen, ob mit uns heute abend alles in Ordnung ist.«
    Claire sah ihn verdutzt an. »Wieso?«
    »Es ist Dads Geburtstag.«
    Auf dem Bildschirm hatte Homer Simpson in seinem geblümten Kleid gerade einen Eiswagen gekidnappt und fuhr mit halsbrecherischem Tempo durch die Gegend, wobei er in einem fort Eiscreme futterte. Claire starrte wie gelähmt auf den Fernseher und schwieg. Du bist erst zwei Jahre tot, und schon bekommt unsere Erinnerung an dich die ersten Lücken.
    »Mein Gott, Noah«, flüsterte sie. »Ich kann es nicht glauben. Ich hatte es völlig vergessen.«
    Sie spürte, wie sein Kopf schwer auf ihre Schulter sank. Und er sagte mit leiser Scham: »Ich auch.«
    Von ihrem Schlafzimmer aus rief Claire Margaret Elliot zurück. Claire

Weitere Kostenlose Bücher