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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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schien ihm, als verbringe er sein ganzes Leben damit, entweder auf das Ende des Winters zu warten oder sich auf einen neuen Winter vorzubereiten. Er dachte: Genug ist genug. Ich habe schon zu viele Winter erlebt. Noch einen stehe ich nicht durch.
    Er ließ seinen Einkaufswagen stehen, wo er gerade war, und ging an der niemals lächelnden Kassiererin vorbei und zur Tür hinaus.
    Er stand auf dem Gehsteig vor Cobb and Morong’s und starrte über die Straße hinweg auf den frisch zugefrorenen See. Die Oberfläche glänzte wie ein polierter Spiegel, wie makelloses Silber; keine einzige Schneeflocke trübte das Bild. Schlittschuheis, dachte er, und er erinnerte sich an die Winter seiner Kindheit, das schwerelose Dahingleiten, das köstliche Geräusch der Kufen. Bald würden die Kinder dort draußen laufen mit ihren Eishockeyschlägern und ihren bunten Winterjacken; wie Konfetti, das über das Eis weht.
    Aber ich habe genug vom Winter. Ich will nichts mehr davon wissen.
    Er atmete ein und fühlte tief drinnen in seinen Lungen das Stechen der kalten Luft. Scharf. Mörderisch.
    Die Katze saß wieder im Fenster des Kramladens auf der Elm Street. Sie putzte ihr glänzendes, rabenschwarzes Fell im Schein der Sonne. Als Claire vorbeiging, unterbrach sie ihre Toilette für einen Augenblick, um ihr einen abschätzigen Blick zuzuwerfen.
    Claire sah zum Himmel auf. Er war von gläserner Bläue; die Art von Himmel, die eine bitterkalte Nacht ankündigt. Seit Scotty Braxtons Tod vier Tage zuvor hatte sich der Winter mit unerbittlicher Endgültigkeit durchgesetzt. Ein matter Eisglanz bedeckte jetzt den gesamten See, und die Todesanzeigen in der heutigen Zeitung schlossen alle mit der gleichen Ankündigung: »Die Beisetzung wird im Frühling stattfinden.« Wenn der Boden auftaut. Wenn die Erde wieder erwacht.
    Werde ich im Frühling immer noch hiersein?
    Sie bog in die Tannery Alley ein. Über einem Eingang schwang ein Blechschild im Wind, auf dem stand: POLIZEISTATION, STADT TRANQUILITY
    Sie ging gleich durch in Lincolns Büro und legte die neueste Ausgabe des Weekly Informers auf seinen Schreibtisch.
    Er sah sie über den Rand seiner Brille hinweg an. »Gibt’s ein Problem, Claire?«
    »Ich komme gerade von Monaghan’s Diner, wo alle nur über das hier geredet haben. Der neueste Schund aus der Feder von Damaris Horne.«
    Er las die Überschrift: KLEINSTADT IN DEN FÄNGEN DES BÖSEN. »Es ist bloß ein Bostoner Revolverblatt«, meinte er.
    »Niemand nimmt dieses Zeug ernst.«
    »Haben Sie es gelesen?«
    »Nein.«
    »Die Leute in Monaghan’s schon. Und sie haben solche Angst, daß sie davon reden, geladene Gewehre bereitzuhalten für den Fall, daß irgendein vom Teufel besessener Teenager versucht, ihren kostbaren Laster oder sonstwas zu stehlen.«
    Lincoln stöhnte und setzte die Brille ab. »O verdammt. Das ist das letzte, was ich brauchen kann.«
    »Ich habe gestern drei Patienten mit Schnittwunden zusammengenäht. Darunter war ein Neunjähriger, der mit der Faust eine Fensterscheibe eingeschlagen hatte. Wir haben schon genug Ärger mit den Kids in dieser Stadt. Jetzt drehen die Erwachsenen auch noch durch.« Sie stützte sich mit beiden Händen auf seinem Schreibtisch ab. »Lincoln, Sie können nicht bis zur Stadtversammlung warten, bevor Sie mit diesen Leuten reden. Sie müssen jetzt etwas gegen die Hysterie tun. Diese Dinosaurier haben schon alle Kinder zu Freiwild erklärt.«
    »Auch Schwachköpfe haben ein Recht auf freie Meinungsäußerung.«
    »Dann legen Sie wenigstens Ihren eigenen Leuten einen Maulkorb an! Wer ist dieser Cop aus Ihrer Abteilung, den Damaris zitiert?« Sie zeigte auf das Blatt. »Lesen Sie den Artikel.«
    Er las.
    Was steckt hinter der Epidemie von Gewalt in dieser kleinen Stadt?
    Viele hier glauben, die Hintergründe zu kennen, aber ihre Erklärungen sind für die örtlichen Behörden so beunruhigend, daß niemand sich öffentlich äußern will. Ein Polizist aus dem Ort (der nicht genannt werden will) bestätigte inoffiziell die schrecklichen Behauptungen mancher Bürger des Städtchens: daß nämlich die Satanisten von Tranquility Besitz ergriffen hätten.
    »Wir wissen sehr wohl, daß es hier Hexen gibt«, sagt er. »Sicher, sie nennen sich selbst Wiccans und behaupten, sie seien harmlos und verehrten bloß irgendwelche Erdgeister. Aber Hexerei ist schon immer mit Teufelsanbetung verbunden gewesen, und man muß sich einfach fragen, was diese sogenannten Erdanbeter nachts da draußen im Wald wirklich

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