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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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urplötzlich auf.
    »Sehen Sie ihn?« rief der Cop.
    »Er ist ins Wasser gegangen!« Sie stürzte sich platschend in das knietiefe Wasser. Mit beiden Händen griff sie in die Flut und packte blind zu, wann immer sie auf etwas stieß. Sie fand Äste, Flaschen, einen alten Schuh. Sie watete tiefer hinein, bis an die Oberschenkel,
    doch das Wasser floß zu schnell, und sie spürte, wie der Strom sie mit sich zu reißen drohte.
    Sie blieb hartnäckig und stützte sich mit dem Fuß auf einem Felsstück ab. Wieder tauchte sie die Arme tief in das eisige Wasser ein.
    Und fand einen Arm.
    Auf ihren Schrei hin kam der Trooper auf sie zugewatet. Der Krankenhauskittel des Jungen war an einem Ast hängengeblieben; sie mußten den Stoff zerreißen, um ihn zu befreien. Gemeinsam zogen sie ihn aus dem Bach und legten ihn am Ufer in den Schnee. Sein Gesicht war blau. Er atmete nicht und hatte auch keinen Puls.
    Sie begann mit der cardiopulmonären Reanimation. Drei Atemstöße, die seine Lungen füllten, dann Herzmassage. Einundzwanzig, zweiundzwanzig – ein oft trainierter Ablauf, fast automatisch. Als sie auf seinen Brustkorb drückte, schoß Blut aus einem Nasenloch und spritzte auf den Schnee. Bringt man den Kreislauf wieder in Gang, so daß Blut ins Gehirn und in die lebenswichtigen Organe fließt, bedeutet das auch, daß Wunden wieder zu bluten beginnen. Sie sah, wie frisches dunkelrotes Blut aus seiner zerrissenen Hand strömte.
    Stimmen näherten sich, und dann hörten sie Schritte, die auf sie zuliefen. Claire trat zurück, naß und zitternd, während das Unfallteam Scotty auf eine Trage hob.
    Sie folgte ihnen schnell zurück in das Gebäude und in den Schockraum, in dem Lärm und Chaos herrschten. Auf dem Herzmonitor war das Muster eines Kammerflimmerns zu erkennen.
    Eine Schwester drückte den Aufladeknopf des Defibrillators und legte die Paddles auf die Brust des Jungen. Scotty zuckte zusammen, als der Elektroschock durch seinen Körper jagte.
    »Er hat immer noch Kammerflimmern«, sagte Dr.McNally. »Herzmassage fortsetzen. Haben Sie ihm das Bretylium gegeben?«
    »Läuft schon«, sagte eine Schwester.
    »Alles zurücktreten!« Wieder fuhr ein Schock durch das Herz.
    »Immer noch Kammerflimmern«, wiederholte McNally. Er warf Claire einen Blick zu. »Wie lange war er unter Wasser?«
    »Ich weiß es nicht. Möglicherweise bis zu einer Stunde. Aber er ist jung, und das Wasser dort ist eiskalt.« Selbst ein scheinbar totes Kind konnte manchmal noch wiederbelebt werden, wenn es in kaltem Wasser gelegen hatte. Sie durften noch nicht aufgeben.
    »Körperkerntemperatur auf zweiunddreißig Grad gestiegen«, sagte eine Schwester.
    »Machen Sie weiter mit der Reanimation und halten Sie ihn warm. Vielleicht haben wir eine Chance.«
    »Wo kommt das Blut aus seiner Nase her?« fragte eine Schwester. »Hat er sich den Kopf angeschlagen?«
    Ein hellrotes Rinnsal floß über die Wange des Jungen und tropfte auf den Boden.
    »Er hat geblutet, als ich ihn herauszog«, sagte Claire. »Er ist vielleicht auf den Fels gestürzt.«
    »Es gibt keine Schädel- oder Gesichtsverletzungen.«
    McNally griff nach den Metallplatten. »Zurücktreten. Wir geben ihm noch einen Schock.«
    Lincoln fand sie im Aufenthaltsraum. Sie hatte ihre nassen Sachen gegen OP-Kleidung eingetauscht und saß zusammengekauert auf der Couch, benommen an einem Kaffee nippend, als sie die Tür zuschlagen hörte.
    Er bewegte sich so leise, daß sie ihn erst erkannte, als er sich neben sie setzte und sagte: »Sie sollten nach Hause gehen, Claire. Es gibt keinen Grund für Sie hierzubleiben. Bitte, gehen Sie nach Hause.«
    Sie schloß die Augen und ließ den Kopf in die Hände sinken. Sie gab sich alle Mühe, nicht loszuheulen. In der Öffentlichkeit wegen des Todes eines Patienten zu weinen bedeutete, daß man sich nicht unter Kontrolle hatte. Ein Riß in der professionellen Fassade. Ihr Körper versteifte sich, so sehr kämpfte sie gegen die Tränen an.
    »Ich muß Sie warnen«, sagte er. »Wenn Sie das Haus verlassen, werden Sie da unten einen Volksauflauf vorfinden. Die Fernsehteams haben ihre Vans direkt vor dem Ausgang geparkt. Sie können da nicht durch, ohne den Spießrutenlauf über sich ergehen zu lassen.«
    »Ich habe ihnen nichts zu sagen.«
    »Dann sagen Sie nichts. Ich helfe Ihnen, da durchzukommen, wenn Sie es möchten.« Sie spürte, wie Lincolns Hand sich auf ihren Arm legte. Ein sachter Hinweis darauf, daß es Zeit war, zu gehen.
    »Ich habe Scottys nächste

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