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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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machen.« Auf die Bitte, das näher zu erläutern, antwortet er: »Wir hatten eine Reihe von Beschwerden von Bürgern, die Trommeln im Wald gehört haben. Einige haben oben auf Beech Hill Lichter gesehen, und das ist ein unbesiedeltes Waldgebiet.«
    Trommeln in der Nacht und geheimnisvolle Lichter im Wald sind nicht die einzigen alarmierenden Anzeichen dafür, daß in diesem abgelegenen Ort etwas nicht in Ordnung ist. Gerüchte über satanische Rituale sind schon seit langem Teil der hiesigen Überlieferung. Eine Frau erinnert sich an die geflüsterten Erzählungen ihrer Kindheit über geheime Zeremonien und über Säuglinge, die kurz nach der Geburt verschwanden. Andere Einwohner kennen noch von früher die schrecklichen Geschichten von Ritualen, bei denen kleine Tiere oder gar Kinder in Satans Namen geopfert wurden ...
    »Welcher Ihrer Officers hat mit dieser Reporterin gesprochen?« wollte Claire wissen.
    Das Gesicht plötzlich von Zorn verdunkelt, sprang Lincoln auf und ging zur Tür: »Floyd! Floyd! Wer zum Teufel hat mit dieser Damaris Horne geredet?«
    Floyd antwortete mit einem leichten Zittern in der Stimme.
    »Äh ... Sie selbst, Lincoln. Letzte Woche.«
    »Es hat noch jemand anders in dieser Abteilung mit ihr gesprochen. Wer war es?«
    »Ich nicht.« Floyd schwieg einen Moment und fügte dann vertraulich hinzu: »Irgendwie macht sie mir angst, diese Lady. Sie macht immer den Eindruck, als wolle sie einen bei lebendigem Leib auffressen.«
    Lincoln kehrte zu seinem Schreibtisch zurück und setzte sich hin. Sein Zorn war immer noch deutlich zu spüren.
    »Wir haben sechs Männer hier in der Abteilung«, sagte er zu Claire. »Ich werde mein möglichstes tun, der Sache auf den Grund zu gehen. Aber es ist so gut wie unmöglich, so eine undichte Stelle ausfindig zu machen.«
    »Könnte sie die Zitate erfunden haben?«
    »Schon möglich. So wie ich Damaris kenne.«
    »Wie gut kennen Sie sie denn?«
    »Besser, als mir lieb ist.«
    »Was soll das heißen?«
    »Jedenfalls heißt es nicht, daß wir zusammen nach Rio durchbrennen«, gab er gereizt zurück. »Sie ist eine verdammt hartnäckige Person, und sie scheint alles zu bekommen, was sie sich in den Kopf gesetzt hat.«
    »Einschließlich der örtlichen Polizei.«
    Für einen Moment blickten sie einander in die Augen, und sie spürte einen unerwarteten Funken der Anziehung. Das Gefühl überraschte sie, zumal in diesem Moment. Er hatte schon besser ausgesehen als an diesem Morgen. Seine Frisur war zerzaust, als sei er frustriert mit der Hand durch sein Haar gefahren, und er sah ein wenig verwahrlost aus, mit zerknittertem Hemd und vom Schlafmangel getrübten Augen. All die Belastungen seines Jobs und seines Privatlebens standen ihm ins Gesicht geschrieben.
    Im Nebenzimmer klingelte das Telefon. Floyd erschien erneut an Lincolns Tür. »Die Kassiererin von Cobb and Morong’s hat gerade angerufen. Dr. Elliot, Sie sollten sich vielleicht auf den Weg dorthin machen.«
    »Warum?« fragte Claire. »Was ist passiert?«
    »Ach, es ist wieder mal der alte Warren Emerson. Er hat schon wieder einen Anfall.«
    Eine Schar von Schaulustigen hatte sich auf dem Bürgersteig versammelt. In ihrer Mitte lag ein alter Mann in zerschlissenen Kleidern, dessen Glieder in einem Anfall von Grand mal zuckten. Aus einer Kopfwunde sickerte Blut, und in dem bitterkalten Wind war eine erschreckend große Lache davon bereits auf dem Asphalt gefroren. Keiner der Umstehenden hatte dem Mann zu helfen versucht; im Gegenteil, sie standen alle in sicherem Abstand von ihm, als fürchteten sie sich, ihn zu berühren oder auch nur in seine Nähe zu kommen.
    Claire kniete sich neben ihn. Als erstes mußte sie sich darum kümmern, daß er sich nicht selbst verletzte oder an eingeatmetem Schleim oder Erbrochenem erstickte. Sie rollte den Mann auf die Seite, lockerte seinen Schal und legte das zusammengerollte Ende unter seine Wange, um sie vor dem eisigen Asphalt zu schützen. Seine Hautfarbe war von der Kälte kräftig gerötet, nicht zyanotisch; sein Puls war sehr schnell, aber stark.
    »Wie lange dauert der Anfall schon?« rief sie in die Runde.
    Schweigen war die Antwort. Sie blickte zu den Umstehenden auf und sah, daß sie noch weiter zurückgewichen waren und daß ihre Blicke nicht auf sie, sondern auf den Mann gerichtet waren. Das einzige Geräusch war das Pfeifen des Windes, der vom See her wehte und an Jacken und Schals zerrte.
    »Wie lange?« wiederholte sie, jetzt mit Ungeduld in der

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