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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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überkam. Er war auf den Holzstoß gefallen; das erklärte wohl, weshalb einige der Stücke heruntergerutscht waren. Seine Unterhosen waren klatschnaß; er mußte sich in die Hose gemacht haben, wie so häufig während eines Anfalls. Er sah an sich hinab und sah, daß seine Jeans mit Urin durchtränkt waren.
    An seinem Hemd war Blut.
    Er stand schwankend auf und ging langsam zu dem alten Farmhaus zurück.
    Die Luft in der Küche war heiß und stickig von dem Holzofen; sie machte ihn schwindlig, und als er das Bad erreichte, waren die Ränder seines Gesichtsfeldes schon getrübt. Er setzte sich auf den abgewetzten Toilettendeckel, nahm den Kopf in beide Hände und wartete darauf, daß die Wolken in seinem Hirn sich verzogen. Die Katze kam herein, rieb sich an seiner Wade und buhlte miauend um seine Aufmerksamkeit. Er streckte die Hand nach ihr aus, und ihr weiches Fell spendete ihm Trost. Sein Gesicht war nicht mehr taub vor Kälte, und nun spürte er bewußt den Schmerz, der beharrlich in seinen Schläfen hämmerte. Auf das Waschbecken gestützt, richtete er sich auf und sah in den Spiegel. Dicht über seinem linken Ohr war das graue Haar steif und blutverklebt. Ein Blutfleck war auf seiner Wange eingetrocknet. Er wirkte wie eine Kriegsbemalung. Er starrte sein Spiegelbild an, ein Gesicht, das tiefe Spuren von sechsundsechzig harten Wintern und ehrlicher Arbeit und Einsamkeit trug. Seine einzige Gefährtin war die Katze, die jetzt zu seinen Füßen miaute – nicht aus Zuneigung, sondern vor Hunger. Er liebte die Katze, und irgendwann einmal würde er ihr Hinscheiden betrauern, mit Tränen und einem feierlichen Begräbnis und Nächten voller Sehnsucht nach dem Klang ihres Schnurrens; doch er machte sich keineswegs vor, daß sie ihn liebte.
    Er zog seine Kleider aus, das zerschlissene und blutige Hemd, die uringetränkte Jeanshose. Er zog sich mit der gleichen Sorgfalt aus, mit der er an jede Aufgabe in seinem Leben heranging; die Kleider legte er in einem ordentlichen Stapel auf den Toilettendeckel. Er drehte die Dusche auf und stellte sich darunter, ohne zu warten, bis das Wasser warm war; es war nur eine momentane Unannehmlichkeit, kaum ein Zittern wert im Vergleich mit seinem ganzen kalten und trostlosen Leben. Er wusch sich das Blut aus den Haaren; die Seife brannte in der Schürfwunde. Er mußte sich die Kopfhaut aufgerissen haben, als er auf den Holzstoß gefallen war. Sie würde heilen, so wie all seine anderen Verletzungen verheilt waren. Warren Emerson war ein lebendes Zeugnis für die Widerstandsfähigkeit von vernarbtem Fleisch.
    Die Katze fing wieder an zu miauen, sobald er aus der Dusche trat. Es war ein jammervolles Geräusch, und er konnte es nicht anhören, ohne sich schuldig zu fühlen. Immer noch nackt, ging er in die Küche, wo er eine Dose Little Friskies mit Hühnchen öffnete und in Monas Katzenschüssel leerte.
    Sie knurrte vor Vergnügen leise auf und begann zu fressen, nunmehr vollkommen gleichgültig gegenüber allem, was er tun oder lassen mochte. Abgesehen von seiner Geschicklichkeit mit dem Dosenöffner war er für ihre Existenz ohne Bedeutung.
    Er ging ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen.
    Früher einmal war es das Zimmer seiner Eltern gewesen, und noch immer enthielt es ihre gesamten Besitztümer. Das gedrechselte Bett, die Kommode mit den Messinggriffen, die Fotografien an den Wänden in ihren Blechrahmen. Während er sein Hemd zuknöpfte, ruhte sein Blick auf einem bestimmten Foto, auf dem ein dunkelhaariges Mädchen mit strahlenden Augen zu sehen war. Was wohl Iris in diesem Augenblick machte? So fragte er sich jetzt, wie er es an jedem Tag seines Lebens tat. Ob sie je an ihn dachte? Sein Blick wanderte zu einem anderen Bild. Es war die letzte Aufnahme seiner Familie, die Mutter mollig und lächelnd, der Vater, der sich sichtlich unwohl fühlte in Anzug und Krawatte. Und zwischen ihnen eingekeilt, das Haar zur Seite geklatscht, stand der kleine Warren.
    Er streckte die Hand aus, und seine Finger berührten die Fotografie seines zwölfjährigen Gesichts. Er konnte sich nicht an diesen Jungen erinnern. Oben auf dem Speicher waren die Spielzeugeisenbahnen und die Abenteuerbücher und die brüchigen Malkreiden, die einst dem Kind auf dem Foto gehört hatten, aber es war ein anderer Warren, der in diesem Haus gespielt hatte, der sich lächelnd zum Sonntagsfoto zwischen seinen Eltern aufgestellt hatte. Nicht der Warren, den er sah, wenn er in den Spiegel blickte.
    Plötzlich fühlte er

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