Trügerischer Friede
könntest Recht haben, Bardric.«
Ein Schatten huschte über da» Kopfsteinpflaster und verdunkelte die sternenbeleuchtete Straße für einen Augenblick.
Lodrik vernahm das leise Rauschen von Schwingen.
Schnell hob er den Kopf und erkannte eine vertraute Silhouette vor dem kleinsten der vier aufgegangenen Monde. Sie setzte zur Landung auf einem nahen Hausdach an, die großen Flügel falteten sich lautlos zusammen, und das hockende Wesen glich einer der vielen Statuen und Wasserspeier, die zur Zier auf prachtvolleren Gebäuden angebracht waren.
»Ein Modrak! Sie sind zurückgekehrt«, sagte er halblaut.
Die Modrak begegneten ihm ebenfalls zum ersten Mal in Granburg. Sie hatten frühzeitig erkannt, was dem Kontinent durch ihn bevorstand, und sich ihm als Diener angetragen. Lange Zeit hatte er ihre Dienste genutzt, bis sie ihm abtrünnig geworden waren. Dass sie ihm nun ausgerechnet an dem Ort begegneten, an dem er sie zum ersten Mal getroffen hatte, wertete er nicht als Zufall. Ich will wissen, welches Spiel ihr treibt und wen ihr gerade unterstützt, dachte Lodrik. Ob sich Zvatochna ihren Beistand gesichert?
Er ging weiter und verlor dabei den Modrak nicht aus den Augen. Es dauerte nicht lange, und er gelangte in die Straße, in dem sich das Haus mit der äußerst lebendigen Statue auf dem Dach befand. Lodrik schaute sich aufmerksam um und entdeckte fünf weitere Modrak auf den umliegenden Gebäuden, die wie lauernde Raubtiere auf den Giebeln verharrten.
Da kam eine junge Frau aus der Eingangstür. Sie trug einen kleinen Eimer mit dampfendem Inhalt in der Rechten,
machte einen Schritt nach vom und wöllte Ihn In die Gosse leeren. Auf einen unhörbaren Befehl hin warfen sich die Modrak falkengleich von ihren Plätzen in die Tiefe und stießen auf sie herab.
Der Angriff traf sie überraschend. Gellend schrie sie auf, wurde von den spitzen Klauen auf die Steine gedrückt, dar
Eimer fiel scheppernd zu Boden und rollte davon; Urin er»
goss sich daraus.
Niemand kam ihr zu Hilfe.
»Wo bleibt die Wache?«, fragte Soscha aufgeregt. »Dabei könnten ihre Schreie selbst einen Toten /um Leben erwecken,« Lodrik löste sich aus dem Schatten und bereitete sich auf den Kampf vor. »Dann bin ich genau richtig«, murmelte er bitter.
Doch er blieb nicht allein.
Zwei Gestalten stürmten unvermittelt aus einer Seitengasse. Ein Schwert und ein breiter Säbel glänzten auf und fraßen sich in das Fleisch zweier Modrak, die kreischend von der Frau abließen und sich den Angreifern zuwandten.
Lodrik blieb wie erstarrt stehen. Er hatte den barhäuptigen Schädel des kräftigeren Mannes sofort erkannt; auch der unverwechselbare Panzerhandschuh, der den Säbel führte, verriet ihm, wer der Frau beistand. Waljakov! Und das Gesicht des zweiten Helfers gehörte seinem alten Mentor Stoiko, der ihm von klein an als Leibdiener zur Seite gestanden hatte. Was tun sie hier? Indes ging das Gefecht zwischen den beiden Männern und den Modrak weiter. Stoiko war noch nie ein besonders guter Fechter gewesen, doch er führte die Klinge mit Leidenschaft, um die Frau aus den Fängen der Wesen zu befreien.
Waljakov dagegen drosch um sich, als waren die letzten sechzehn Jahre spurlos an ihm vorübergegangen. Bald hatte er seinen Modrak besiegt und eilte Stoiko zu Hilfe, der längst nicht mehr die Geschwindigkeit von einst besaß. Greise im
Kampf.
Lodrik bewegte sich noch immer nicht. Er hatte seine besten Freunde nicht mehr sehen wollen, sie absichtlich gemieden und aufgeatmet, als er gehört hatte, dass sie im Auftrag von Norina durch Tarpol reisten und die Fortschritte der Reformen beobachteten. Er mochte sie, aber er wollte ihnen seinen veränderten Anblick ersparen. Und er fühlte zu viel Schuld ihnen gegenüber. Das war der Hauptgrund. Er hielt sich für nicht würdig, ihnen unter die Augen zu treten. Ihr Anblick traf ihn hart und rief ihm seine Missetaten ihnen gegenüber lebhaft ins Gedächtnis zurück.
Stoiko hatte er auf dem Höhepunkt seines Größenwahns ins Gefängnis in Ulsar werfen lassen, und Waljakov wäre um ein Haar seinetwegen gestorben und hatte Jahre im Exil auf Kalisstron verbracht. Beide hatten nach dem Wiedersehen beteuert, dass sie ihm verziehen hätten und es die Schuld des Beraters Mortva Nesreca gewesen sei. Lodrik glaubte ihnen, doch er wollte es sich nicht so einfach machen. Es störte ihn nicht, dass er in dieser Nacht unbekannten Menschen das Leben genommen hatte; was er damals getan hatte, das belastete sein
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