Trügerischer Friede
rettungslos verliebt hatte, gleich bei ihrem ersten Zusammentreffen. Nun war die Schönheit vergangen, aber seine Empfindungen waren geblieben. Es gab nichts Aufrichtigeres als die Liebe.
Sie hob den Schleier weit genug an, dass der Glasrand an die bleichen, gesprungenen Lippen reichte, und er sah ihre Blässe mit Schrecken und Verzweiflung. »Es ist ein Fluch, Raspot«, stöhnte sie angestrengt, nachdem sie einen Schluck genommen hatte. »Der Fluch von Bschoi. Er verfolgt mich aus seinem Grab und bestraft mich, dass ich dir mein Herz schon zu seinen Lebzeiten schenkte.« Sie gab ihm das Glas zurück. Im Wasser schwamm rote Flüssigkeit und löste sich bald darin auf. Raspot war den Tränen nahe. Er kannte sie als junge Frau, voller Anmut und Schönheit, Witz und solcher Wohlgestalt, dass es für tausend Frauen ausgereicht hätte. Für ihn hatte es keinen Zweifel gegeben, dass die schönste Gattin Ulldarts an seiner Seite war.
Damit war es seit dem Unfall vorbei, bei dem der Vasruc ums Leben gekommen war. Man mochte wahrhaftig an einen Fluch glauben. »Unsinn. Du warst immer treu. Wir wissen es. Das Schicksal hat es gewollt, dass er ertrank und unsere Heirat ermöglichte.« Er schob ihre Decke zurecht und achtete darauf, dass sie es warm hatte.
Hinter dem halb durchsichtigen Stoff funkelten ihre Augen, sie hob die Hand und streichelte sein dunkelbraunes
ihrem neuen Kabcar halten. Und was sie dazu sagen, dass er
sich gleich vermählt hat.«
»Sie haben sich gefreut«, log Raspot. »Es wurden unzählige Geschenke für dich und mich abgegeben, es gab Freudentänze auf den Straßen, und überall wurde bis in die Morgenstunden gefeiert.«
Die Frau hustete rasselnd. »Sie werden ihren Kabcar sehen wollen. Du musst durch die Städte reisen und dich ihnen zeigen, damit du mehr für sie bist als ein Name, mit dem sie doch nichts anfangen können.« Ihre Spinnenfinger legten sich auf seine Hand. »Und hüte dich vor den Brojaken und Adligen, Raspot. Sie werden darauf achten, dass du nur das tust, was ihnen gefällt. Fjanski ist der Schlimmste unter ihnen.«
Es zerschnitt ihm die Seele, sie leiden zu sehen, doch er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Sie würde sich die Schuld an seiner Bedrückung geben und ihre eigene Qual nur vergrößern. »Sie werden erkennen, dass sie sich getäuscht haben«, erwiderte er. »Die Kabcara von Tarpol hat es vorgemacht, wie man mit den Hochmütigen umgehen muss, und das Volk hat es ihr mit Liebe gedankt.«
Ihre Stimme bebte. »Dann fürchte ich um dein Leben, mein Gemahl.«
Er lachte gütig. »Denkst du, dass sie mich so schnell umbringen werden?«
»Welchen Rückhalt hast du?«, kam es schwach hinter dem Schleier hervor. »Du hast keine starken Verbündete wie Miklanowo, du hast keinen vergötterten Lodrik Bardric in deinem Rücken, der in dem Ruf steht, immer noch Magie zu beherrschen.« Sie lachte freudlos. »Stattdessen liegt eine kranke Frau in deinem Bett, die dir keine Erben schenken
Unter Aufbietung all ihrer Kräfte richtete sie sich auf. Es sah aus, als wäre der Leichnam einer Verhungerten lebendig geworden. »Du musst dir die Zuneigung des Volkes sichern, indem du dich ihm zeigst und ihm kleine Freiheiten gewährst, damit es Hunger nach mehr bekommt. Hast du das erreicht, kannst du dich gegen die Adligen stellen.« Sie streckte die Arme aus. Wo ein normaler Mensch schreiend Reißaus genommen hätte, fühlte er sich geborgen. Er sank mit Freude in ihre Umarmung, vorsichtig drückte er ihren kühlen Leib an sich und wärmte sie.
»Reise durch Borasgotan, mein Kabcar, und gewinne die Liebe der Menschen, um dich von denen zu befreien, die dir Böses wollen.« Sie lüftete den Schleier bis zur Nasenspitze und gab ihm einen langen Kuss auf den Mund, in dem trotz ihrer Krankheit feurige Leidenschaft brannte. Dass die Lippen trocken und spröde waren, störte Raspot nicht. Er genoss das Gefühl, schloss die Augen. Wie sehr hatte er sich auf die Hochzeitsnacht gefreut; wie sehr wollte er sie fühlen und ihren Leib mit Küssen bedecken. Das musste warten, bis sie genas. Ihre Münder trennten sich.
»Ich danke den Göttern, dass ich eine so kluge Frau an meiner Seite habe«, flüsterte er und erhob sich vom Bett. Er hatte ihr Zittern bemerkt. Die Unterredung mit ihm nahm sie mit, raubte ihrer geschwächten Gesundheit weitere kostbare Substanz. Umsichtig stützte er ihren federleichten Leib, als sie zurücksank. »Soll ich dir eine Suppe bringen? Du brauchst Kraft.
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