Trügerischer Friede
.«
»Nein«, wehrte sie müde ab. »Ich möchte mich ausruhen.«
»Dann schlafe, meine Liebe.« Fürsorglich rückte er die Decke noch einmal zurecht und wollte ihr den Schleier abnehmen.
»Nein, bitte nicht«, sagte sie sofort. »Erst, wenn du gegangen bist, werde ich ihn abnehmen. Wenn mein Leid der Fluch meines Mannes ist, möchte ich ihn nicht dadurch verschlimmern, dass ich gegen die Trauergebote verstoße.«
Raspot berührte sie zärtlich an der Schulter und verließ den Raum. Die Nacht senkte sich auf Checskotan herab.
Die Geräusche in der Festung wurden leiser. Die Bewohner begaben sich zur Ruhe, während die Sterne am Firmament aufzogen und die Monde sichtbar wurden, nachdem der letzte Schimmer der Sonnen der Finsternis gewichen war.
Durch das Turmfenster fiel der gedämpfte Schein eines Lagerfeuers, das die Wachen im Hof entzündet hatten. Gelegentlich stoben Funken auf, als wollten sie bis zu den Sternen fliegen. Sie erloschen jedoch lange vor ihrem unerreichbaren Ziel.
Die Kabcara betrachtete schwermütig die Gestirne und deren kalten Glanz. Seid ihr tot, oder weshalb fehlt euch die Kraft, mit der die Sonnen für Lehen auf Ulldart sorgen?, fragte sie in Gedanken. Wart ihr einst Sonnen und wurdet von den Göttern bestraft, indem sie euch in die Nacht verbannten? Sie setzte sich auf, stellte zuerst den linken, dann den rechten Fuß auf den Boden und erhob sich von ihrem Lager. Sollte es so sein, dann sind wir Verwandte. Sie nahm den Mantel, der über dem Fußende hing, warf ihn sich über und ging zur Tür hinaus. Ihre nackten Füße machten keinerlei Geräusch auf dem Steinboden, während sie durch die leeren Korridore der Festung tiefer und immer tiefer drang, bis sie in den Gewölben stand.
Irgendwo troff Wasser von der Decke und perlte auf den
Boden, es roch feucht und schimmlig, nach Exkrementen, muffigem Stroh und kaltem Rauch. An der Wand hing eine einsame brennende Fackel und machte ihren Schatten zu einem wahren Monstrum, das aus den Albträumen eines
Wahnsinnigen zu stammen schien.
»Ihr seid spät, Kabcara«, sagte eine Stimme aus dem Dunkeln.
»Raspot ist lange geblieben«, gab sie ruhig zur Antwort. Um ihr Furcht einzujagen, bedurfte es mehr als eines Mannes, der sie aus einem Versteck heraus ansprach. »Wir haben uns lange unterhalten, Harac Fjanski. Ihr und Eure Freunde solltet wissen, dass Eure Marionette beabsichtigt, sich früher von den Schnüren zu befreien, als Ihr eingeplant hattet. Sie hat den Kopf gehoben.«
Der Mann trat hinter dem Mauervorsprung hervor in den Fackelschein. »Ich ahnte es«, sagte er zähneknirschend. »Dieser junge, enthusiastische Idiot!«
Sie hatte sich nicht zu ihm umgedreht, sondern sprach weiterhin gegen die feuchte, von Salpeter bemalte Wand. »Er wird morgen aufbrechen und eine Reise durch Borasgotan antreten, um sich seinem Volk zu zeigen. Dabei wird er kleinere Versprechungen machen, um den Menschen die Hoffnung zu geben, dass sie es so gut wie ihre Nachbarn in Tarpol haben können. Wenn sich die Kunde weit genug verbreitet hat und die Menschen seinen Namen mit einer Verbesserung verbinden, könnt Ihr und Eure Freunde nichts mehr dagegen tun.« Sie wandte das verhüllte Gesicht dem Haratf zu. »Borasgotan wird zum ersten Mal einen Kabcar haben, den das Volk liebt.«
Fjanski überlegte. »Eine aufsässige Marionette wird zerhackt und verbrannt.«
»Aber das Publikum hat bereits von ihr gehört. Und zwar ausschließlich Gutes.« Sie trat näher an den Mann heran; nur ihr Mantel und ihr Kleid raschelten, ihre Füße hörte er nicht. Der Harac schluckte und bekämpfte die aufsteigende Angst
vor der Kabcara, die ihn mehr an einen Geist denn an eine Lebende erinnerte. »Was sollen wir Eurer Meinung nach unternehmen?«
»Lasst die Marionette auf die Bühne - für einen kurzen Akt des ganzen Schauspiels«, empfahl die Frau heiser. »Gleichzeitig sorgt Ihr dafür, dass ihr niemand Glauben schenken wird, indem Ihr Menschen wegen Nichtigkeiten im Namen des Kabcar verhaften lasst. Begeht eine Gräueltat auf sein angebliches Geheiß hin, kurz bevor er in eine große Stadt einreitet.« Sie hustete dunkel, wandte sich zur Seite, hob den Schleier ein wenig und ließ roten Speichel auf den Boden tropfen. »Ihr werdet sehen, Harac Fjanski, dass andere für Euch die widerspenstige Marionette zerhacken und verbrennen werden.«
Der Mann konnte sich vom Anblick des blutigen Auswurfs nicht losreißen, plötzlich schob sich ihr verschleierter Kopf vor ihn, er
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