Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
plötzlich tief einatmete.
»Ich habe es in einem Trödelladen gefunden«, log sie. »Hübsch, nicht?« Tate starrte das zarte Goldmedaillon mit der Gier eines Verhungernden an, zögerte einen Augenblick, nahm dann das Medaillon in die Hand und drückte auf den Verschluß. Die beiden kleinen Rahmen waren leer. Avery hatte die Fotos ihrer Eltern herausgenommen und in Irishs Obhut gelassen.
»Ich möchte Fotos von dir und Mandy hineintun.«
Er sah ihr prüfend in die Augen. Dann betrachtete er lange ihren Mund, während er das Medaillon zwischen Daumen und Zeigefinger rieb. Als er es zuschnappen ließ, wirkte das Geräusch übermäßig laut.
Er legte es wieder an den Platz zwischen ihren Brüsten zurück. Seine Hand blieb noch einen Augenblick dort. Seine Fingerspitzen streiften sacht über die weichen Kurven, berührten dabei kaum ihre Haut, aber wo er sie berührte, schien sie zu brennen.
Noch während er sie streichelte, wandte Tate den Kopf ab. In seinem Inneren tobte ein Kampf, das war an den Bewegungen seines Kinns zu erkennen, an der unruhigen Unentschlossenheit in seinen Augen und an seinem flachen Atem.
»Tate.« Ihr flehender Ton brachte ihn dazu, ihr in die Augen zu sehen. Mit einem Flüstern sagte sie: »Tate, es hat keine Abtreibung gegeben.« Sie hob ihre Fingerspitzen zu seinen Lippen, noch bevor er widersprechen konnte. »Ich hab nicht abgetrieben, weil ich nicht schwanger war.«
Die Ironie daran war, daß das genau und vollständig der Wahrheit entsprach, aber sie mußte eine Lüge eingestehen, um glaubwürdig zu erscheinen.
Diese Idee spukte schon seit Tagen in ihrem Kopf herum. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, ob Carole ein Kind empfangen und abgetrieben hatte oder nicht. Aber auch Tate würde es nie erfahren. Er konnte ihr eine Lüge vielleicht eher vergeben als eine Abtreibung, und da das die schwerste Barriere zu sein schien, die ihre Versöhnung verhinderte, wollte sie sie einreißen. Warum sollte sie die Strafe für Caroles Sünden auf sich nehmen?
Als sie einmal angefangen hatte, fiel ihr der Rest leicht. »Ich habe dir genau aus dem Grund gesagt, daß ich schwanger bin, den du kürzlich genannt hast. Ich wollte dich provozieren.« Sie legte ihre Hände an seine Wangen. »Aber ich kann nicht zulassen, daß du glaubst, ich hätte dein Kind vernichtet. Ich merke doch, wie sehr du dich deswegen quälst.«
Nach einem langen, prüfenden Blick brach er die Berührung ab und trat einen Schritt zurück. »Der Flug nach Houston geht Dienstagmorgen um sieben. Wirst du es schaffen?«
Sie hatte gehofft, ihre Mitteilung würde eine Welle von Vergeben und unterdrückter Liebe auslösen. In dem Versuch, sich ihre Enttäuschung nicht zu sehr anmerken zu lassen, fragte sie: »Was? Die frühe Zeit oder den Flug?«
»Beides.«
»Ich werd’s schon schaffen.«
»Das hoffe ich«, sagte er und ging zur Tür. »Eddy will, daß alles funktioniert wie bei einem Uhrwerk.«
Am Montagabend rief Irish den politischen Reporter von KTEX in sein Büro. »Alles für diese Woche geregelt?«
»Ja. Die Leute von Rutledge haben heute einen Zeitplan rübergeschickt. Wenn Sie das alles bringen wollen, muß Dekker gleichviel Sendezeit bekommen.«
»Lassen Sie das meine Sorge sein. Eure Aufgabe ist es, zu dokumentieren, was bei Rutledges Wahlkampf so alles los ist. Ach übrigens, ich gebe Ihnen Lovejoy statt des ursprünglich geplanten Kameramanns mit.«
»Mein Gott, Irish, was habe ich getan, daß Sie mir das zumuten? Er ist derart lästig! Er ist unzuverlässig. Er riecht die meiste Zeit schlecht.«
Er setzte seine Litanei von Gegenargumenten fort. Jeder Beliebige wäre ihm lieber gewesen als Van Lovejoy. Irish hörte schweigend zu. Als der Reporter geendet hatte, wiederholte er: »Ich gebe Ihnen Lovejoy mit.« Der Reporter gab auf. Wenn Irish etwas zweimal sagte, war jedes Argument sinnlos.
Irish hatte sich schon vor ein paar Tagen dazu entschlossen. Der Reporter hatte von Anfang an nicht die geringste Chance gehabt, Irish umzustimmen.
Avery glaubte vielleicht nicht, daß sie in unmittelbarer Gefahr war, aber mit ihrer sturen und heftigen Art traf sie oft kurzfristig Entscheidungen, für die sie dann später büßen mußte. Er konnte kaum glauben, in welche Schwierigkeiten sie sich diesmal gebracht hatte. Allmächtiger Gott, dachte er, sie war eine andere Frau geworden! Er würde tun, was immer in seiner Macht stand, um zu verhindern, daß sie diesen Identitätswechsel mit ihrem Leben bezahlte.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher