Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
hatten sich darauf geeinigt, daß sie über sein Postfach mit ihm in Kontakt bleiben würde, wenn Telefonieren zu riskant war. Er hatte ihr seinen Ersatzschlüssel zu dem Postfach gegeben. Was ihr natürlich nicht viel nutzte, wenn sie sofort Hilfe brauchte. Dieses Sicherheitsnetz war nicht stabiler als ein Spinnennetz, aber sie hatte sein Angebot abgelehnt, ihr eine Handfeuerwaffe zu leihen.
Diese Geschichte machte ihn extrem nervös. Wenn er nur daran dachte, mußte er nach seinem Medizinfläschchen mit dem Magenmittel greifen. Im Moment trank er davon fast soviel wie Whisky. Er war zu alt für so was, aber er konnte nicht einfach zusehen und riskieren, daß Avery umgebracht wurde.
Da er nicht selbst ihr Schutzengel sein konnte, tat er das nächstbeste— er schickte ihr Van mit. Es machte sie sicher nervös, wenn Van in der Nähe war, aber wenn sie unterwegs in Schwierigkeiten geriet, hatte sie jemanden, an den sie sich wenden konnte. Van Lovejoy war keine große Hilfe, aber im Augenblick das Beste, was Irish für sie tun konnte.
KAPITEL 24
Die ersten Probleme bei Eddys sorgfältig geplanter Wahlkampftour entstanden am dritten Tag. Sie waren in Houston. Am frühen Morgen hatte Tate vor einer Gruppe von Hafenarbeitern eine leidenschaftliche Rede gehalten. Sie war gut angekommen.
Nach ihrer Rückkehr ins Hotel ging Eddy in sein Zimmer, um die Anrufe zu beantworten, die während ihrer Abwesenheit hereingekommen waren. Alle anderen versammelten sich in Tates Suite. Jack vergrub sich in den Morgenzeitungen auf der Suche nach Berichten über Tate, seinen Gegner oder die Wahl im allgemeinen. Avery saß neben Mandy, die malte, auf dem Fußboden.
Tate streckte sich auf dem Bett aus und stopfte sich die Kissen unter den Kopf. Er machte das Fernsehgerät an, um sich eine Show anzusehen. Es war eine mäßige Sendung, aber er entspannte sich dabei und hatte sogar neue Ideen. Nelson und Zee lösten zusammen ein Kreuzworträtsel.
Eddy unterbrach die friedliche Szene. Er stürmte aufgeregt ins Zimmer. »Schalt das Ding aus und hör zu.«
Tate brachte das Fernsehgerät mit der Fernbedienung zum Schweigen. »Nun«, sagte er mit einem erwartungsvollen Lachen, »Sie haben jedermanns Aufmerksamkeit, Mr. Paschal.«
»Einer der größten Rotarierclubs des Landes kommt heute mittag zusammen. Es ist ihr wichtigstes Jahrestreffen. Neue Mitglieder werden vereidigt, und die Frauen sind auch eingeladen. Der Redner, den sie vorgesehen hatten, hat sich heute morgen krank gemeldet. Sie wollen dich.«
Tate setzte sich auf und schwang seine langen Beine über den Rand des Bettes. »Wie viele Personen?«
»Zweihundertfünfzig oder dreihundert.« Eddy sah die Papiere in seiner Aktentasche durch. »Das sind Spitzenleute aus der Wirtschaft und angesehenen Berufen — die Stützen der Gesellschaft. Der älteste Rotarierclub in Houston. Die Mitglieder haben unheimlich viel Geld, selbst jetzt, in Zeiten der Depression. Hier«, sagte er und schob Tate ein paar Blätter zu. »Das war eine verdammt gute Rede, die du letzten Monat in Amarillo gehalten
hast. Und um Himmels willen, zieh die Jeans aus und einen konservativen Anzug an.«
»Die Leute hören sich mehr nach Dekkers Publikum an.«
»Sind sie auch. Darum ist es ja so wichtig, daß du hingehst. Dekker hat dich als kleinen Jungen hingestellt, der den Kopf in den Wolken hat. Zeig ihnen, daß du mit beiden Beinen auf der Erde stehst und ganz menschlich bist.« Er sah über die Schulter. »Du bist auch eingeladen, Carole. Du mußt soviel Charme wie möglich versprühen. Die Frauen –«
»Ich kann nicht mitkommen.«
Alle sahen plötzlich von Eddy zu Carole, die immer noch neben Mandy auf dem Boden saß mit Stiften in der Hand und einem Bild von Donald Duck auf dem Schoß. »Mandy hat heute Mittag um ein Uhr einen Termin bei Dr. Webster.«
»Mist.« Tate strich sich mit beiden Händen durchs Haar. »Das stimmt. Ich hatte es total vergessen.«
Eddy warf einen ungläubigen Blick zwischen ihnen hin und her. »Du darfst nicht mal einen Gedanken daran verschwenden, diese Gelegenheit zu versäumen. Wir sind bei den Umfragen diese Woche einen Punkt besser geworden, Tate, aber es fehlt uns immer noch viel. Diese Rede könnte uns eine Menge Geld für den Wahlkampf einbringen — Geld, das wir brauchen, um Fernsehzeit für Werbung zu kaufen.«
Jack warf die zusammengefaltete Zeitung zur Seite. »Laßt euch einen neuen Termin bei diesem Arzt geben.«
»Was meinst du dazu, Carole?« fragte
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