Trügerisches Bild: Ein Auftrag für Spenser
Schwanboote schwammen. Pearl schnupperte sich für den Fall, dass jemand einen Donut weggeworfen hatte, durch den rudimentären Schnee am Brückenende Richtung Arlington Road. Natürlich würde nie jemand einen Donut wegwerfen; darum war ihre Suche vergebens. Trotzdem gefiel es mir, wenn sie ihren Jagdinstinkt pflegte. Und ich wollte dem Höhenflug ihrer Inspiration nicht unsere realistischen Beschränktheiten aufzwingen.
„Zu streben“, sagte ich zu Susan, „zu suchen … und nie zu ruhen.“
„Ja genau“, sagte sie.
Pearl stoppte plötzlich und sah auf. Sie witterte, den Kopf hochgereckt, den Stummelschwanz ebenfalls, der Körper reglos und starr, eine Vorderpfote hochgehoben. Dann setzte sie die Vorderpfote vorsichtig ab, blieb noch einige Sekunden lang so und raste dann plötzlich los Richtung Boylston Street. Durch das Tor zur Boylston Street kam wie eine Flutwelle Otto. Die beiden prallten irgendwo am anderen Ende des zugefrorenen Schwanboot-Teichs übermütig ineinander. Otto warf Pearl über den Haufen, stolperte dann über sie und fiel auch um, und sie rollten sich im gespielten Kampf über den Boden und wedelten wild mit dem Schwanz dabei. Ottos Frauchen war auch da, mit einem ziemlich großen Mann, der sich als Ottos Herrchen erwies. Ottos Herrchen sah definitiv nach New York City aus.
Beide Hunde drehten sich auf den Bauch und sahen einander mit hochgereckten Hinterteilen an, die Vorderpfoten ausgesteckt, die Brustkörbe am Boden, grollten herausfordernd und machten mit den Köpfen Finten gegeneinander.
Dann standen sie plötzlich auf und begannen in immer weiteren Kreisen durch den Public Garden zu tollen, während Fußgänger ihnen auswichen oder manchmal auch erschraken. Susan und ich und Ottos Frauchen und Herrchen sahen zu wie Aufsichtspersonen beim ersten Tanzabend der neuen Highschool-Schüler.
„Sie sind bezaubernd“, sagte Ottos Frauchen.
„Absolut“, sagte Pearls Frauchen.
Es waren auch noch ein Scottie und ein Jack Russell unangeleint unterwegs, und sie machten den halbherzigen Versuch, sich der Toberei anzuschließen, aber sie konnten nicht mithalten, und weder Pearl noch Otto beachteten sie auch nur ansatzweise.
„Wir nehmen ihn fast überall hin mit“, sagte Ottos Frauchen. „Möchten Sie ein paar Fotos sehen?“
„Liebend gern“, sagte Susan.
Ottos Frauchen holte eine Digitalkamera hervor und klickte durch die gespeicherten Bilder, während Susan sich über die Kamera beugte und Sachen sagte wie „Oh mein Gott“ oder „Einfach hinreißend“. Was mich schmunzeln ließ, war die Tatsache, dass sie es ernst meinte. Sie sah sich wirklich liebend gern die Fotos anderer Leute an, zumal Bilder von Pearls erster richtiger Liebe.
„Moment mal“, sagte Susan. „Wo ist das?“
„Ach, das ist auf einer Gala, zu der wir ihn mitgenommen haben“, sagte Ottos Frauchen. „Wir haben ihn davorgesetzt, weil wir fanden, dass er eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Mann auf dem Gemälde hat.“
Susan sagte zu mir: „Sieh dir das mal an.“
Was ich tat. Es war ein Foto von Otto, der stolz vor dem Gemälde eines wohlhabenden Kaufmanns aus dem siebzehnten Jahrhundert saß, der Otto tatsächlich ein bisschen ähnlich sah.
„Frans Hals?“, fragte ich.
„Ja“, sagte Ottos Frauchen. „Es war eine Benefizgala für ein kleines Museum in New York mit holländischer Malerei des 17. Jahrhunderts.“
„In dieser Epoche wurde auch Neu-Amsterdam gegründet“, sagte ich.
„Genau das“, sagte Ottos Frauchen.
Wie bei ihrer letzten Begegnung waren Pearl und Otto schließlich völlig am Ende und kamen herüber und ließen sich mit hängenden Zungen fallen. Ottos Herrchen bückte sich und tätschelte die beiden.
„Kennen Sie in diesem Museum irgendjemanden?“, fragte Susan.
„Aber ja“, sagte Ottos Frauchen. „Ich bin im Beirat.“ „Gibt es dort jemanden, der sich mit holländischer Malerei und dem Kunstmarkt auskennt?“
„Sicher.“ Sie sah Ottos Herrchen an. „Dieser nette Mann mit dem Salz-und-Pfeffer-Bart. Du weißt schon, Carl irgendwas.“
„Carl Trachtman“, sagte er. „Wahrscheinlich der weltweit führende Experte für Kunst der Niederlande.“
Susan nickte zu mir. „Meinen Sie, er unterhält sich mal mit diesem groben Klotz da?“
„Mit mir tut er’s jedenfalls“, sagte Ottos Herrchen.
Ich grinste ihn an. „Dann bin ich goldrichtig.“
Ottos Herrchen schmunzelte und zückte ein Handy. „Wir sind praktisch verschwägert. Ich ruf ihn mal
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