Trügerisches Spiel (German Edition)
versuchte, sich jede Einzelheit einzuprägen, bevor sie ihn womöglich für immer verlor. Eines war klar: Sie konnte nicht damit leben, dass er für sie starb. »Ich gehe alleine rein.«
»Das wirst du nicht.« Seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, so als hätte er schon vorher gewusst, was sie sagen würde. »Ich werde ganz bestimmt nicht tatenlos zusehen, wie du dich in Gefahr begibst.« Seine Stimme wurde sanfter. »Ich habe eine Waffe und bin dafür ausgebildet, mit Verbrechern fertigzuwerden. Du nicht.«
»Aber ich kann dich nicht verlieren!« Ihre Stimme brach. Tränen stiegen in ihre Augen, und sie blinzelte sie wütend fort. »Verstehst du denn nicht, dass es mich zerstören würde, wenn dir etwas geschieht?«
Jay zog sie mit einer Hand an sich und legte seine Stirn an ihre. »Das geht mir bei dir genauso, deshalb werde ich mitkommen.« Er küsste sie sanft. »Außerdem steht auf dem Zettel, dass wir beide kommen sollen. Sonst hätte ich dich irgendwo versteckt und die Sache alleine erledigt.«
Ein Schauder lief durch ihren Körper, und sie klammerte sich für einen Moment an ihn. Wenn sie doch nur seine Ruhe und Stärke in sich aufnehmen könnte. Sie war ein Nervenbündel und wusste nicht, wie sie die Ungewissheit länger ertragen sollte. Jocelyn schob das Kinn vor und richtete sich entschlossen auf. Nein, sie würde jetzt nicht zusammenbrechen, auch wenn ihr Herz noch so sehr schmerzte und sich das flaue Gefühl in ihrem Magen immer mehr verstärkte.
»Glaubst du, dein Chef wird kommen?«
Jay zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Wenn, dann wahrscheinlich nicht sofort, weil er erst noch eine Truppe zusammenstellen muss. Ich hoffe jedenfalls, dass er nicht alleine kommt.«
Die Vorstellung, dass sich noch jemand ihretwegen in Gefahr begeben würde, ließ Übelkeit in ihr aufsteigen. Aber sie konnte nichts daran ändern. »Gehen wir.«
»Joss …«
Fragend blickte sie Jay an. »Was?«
Anstelle einer Antwort zog er sie noch einmal an sich und küsste sie, als gäbe es kein Morgen mehr. Da es tatsächlich ihr letzter Kuss sein konnte, presste sie sich an ihn und gab sich ihren Gefühlen hin. Beinahe verzweifelt versuchte sie, in diese Berührung alles zu legen, was sie empfand.
Langsam löste sich Jay von ihr und blickte sie mit warmen Augen an. »Wir müssen uns nachher dringend unterhalten.« Noch einmal strich er mit seinen Lippen federleicht über ihren Mund, dann öffnete er die Tür und stieg aus.
Inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt abzuwarten, bis er ihre Tür öffnete, doch diesmal fiel es ihr besonders schwer, weil sie so schnell wie möglich zu ihrem Bruder wollte. Es musste ihm einfach gut gehen! Immer wieder sah sie sein Gesicht vor sich, lächelnd in glücklicheren Zeiten und tief besorgt, als sie sich vor neun Monaten von ihm verabschiedete. Sie konnte sich nicht vorstellen, ihn verletzt oder vielleicht sogar tot aufzufinden. Oder ihn vielleicht nie wiederzusehen. Mühsam riss Jocelyn sich zusammen, es half niemandem, wenn sie sich jetzt schon verrückt machte. Ihre Tür öffnete sich, und Jay hielt ihr seine Hand hin. Dankbar ergriff Jocelyn sie und stieg aus dem Jeep.
Jay sah sie forschend an. »Bist du bereit?«
»Nein, aber es hilft ja nichts. Ich würde für Kevin alles tun.«
Sanft drückte er ihre Finger. »Und genau das wissen die Verbrecher anscheinend. Mich würde nicht wundern, wenn sie deinen Bruder überwacht haben, für den Fall, dass du ihn kontaktierst.«
Jocelyn spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. »Dann war er die ganze Zeit in Gefahr?«
»Nein, denn es hätte ihnen nichts gebracht, ihm etwas zu tun, wenn du es gar nicht mitbekommst. Aber jetzt bist du wieder hier, und sie wussten, dass er ihr einziges Druckmittel ist.« Jay ließ ihre Hand los und legte sie stattdessen auf ihren Rücken.
Jocelyn verstand den Hinweis und setzte sich in Bewegung. »Ich hätte ihn warnen müssen, als ich in die Stadt kam, und irgendwie dafür sorgen, dass er in Sicherheit ist.«
»Dann hätten sie dich sofort erwischt – und ihn auch.« Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass niemand in der Nähe war, überquerten sie die Straße.
Sie wusste, dass er Recht hatte, aber trotzdem fühlte sie sich nicht besser. Irgendetwas hätte sie tun müssen, um ihren Bruder zu schützen. Nervös sah sie sich um, aber sie bemerkte niemanden, der ihnen Beachtung schenkte. Oder der wie ein Verbrecher aussah. Wobei das vermutlich auch trügerisch war,
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