Trügerisches Spiel (German Edition)
Vielleicht weil er echt war.
»Keine Angst, ich werde dich nicht ausfragen, wenn du das nicht möchtest. Bei einer so großen – und neugierigen – Familie wie meiner bin ich immer froh, wenn ich auch noch ein paar Dinge für mich behalten kann.«
Jocelyn zuckte mit den Schultern. »Ich habe eigentlich keine Geheimnisse. Wahrscheinlich bin ich es einfach nicht mehr gewöhnt, über mich zu sprechen.« Sie gähnte. »Entschuldige, ich sollte wohl lieber ins Bett gehen, bevor ich im Sitzen einschlafe.«
»Natürlich, ich hätte dich nicht so lange wach halten sollen. Du hast in den letzten Tagen viel durchgemacht und brauchst dringend Schlaf.« Jay stand auf. »Ich räume nur noch schnell ein wenig auf, damit ich dich nachher nicht störe.« In der Tür blieb er noch einmal stehen. »Die Küche ist am Ende des Gangs, falls du nachts Hunger bekommst.«
Dankbar lächelte sie ihn an. »Danke, für alles. Ich weiß nicht, was ich ohne dich gemacht hätte.« Ihre Kehle zog sich zusammen. »Ich bin so froh, dass ich nicht mehr alleine bin.«
»Kein Problem. Wenn du noch irgendetwas brauchst, sag Bescheid.«
Jocelyn biss auf ihre Lippe, traute sich aber nicht zu sagen, was auf ihrer Zunge lag.
Jay schien es zu bemerken, denn er blickte sie fragend an. »Was ist?«
»Nichts, nur …« Sie atmete scharf aus. »Ich habe nur gerade gedacht, dass ich mehr als alles andere eine Umarmung brauche.« Als er zögerte, blinzelte sie die Tränen weg. »Ignorier mich einfach, ich weiß, dass du schon genug für mich getan hast und …« Sie brach ab, als er sie kurzerhand aus dem Sessel hob, sich selbst hineinsetzte und sie auf seinem Schoß deponierte. Seine Arme schlangen sich beschützend um sie und zogen sie an seine breite Brust.
Jocelyns Augen schlossen sich, als sie ihre Wange an seine Brust legte und tief seinen Geruch einsog. Sein Herz klopfte beruhigend an ihrem Ohr, durch den dünnen T-Shirt-Stoff sickerte seine Wärme in ihren vor Erschöpfung und Trauer kalten Körper. Ihre Hand legte sich wie von selbst auf seine Brust und sie wünschte, sie könnte in ihn hineinkriechen. Ohne Vorwarnung begannen ihre Tränen zu fließen und durchnässten Jays T-Shirt. Sosehr sie es auch versuchte, sie konnte sie nicht zurückhalten. Peinlich berührt wollte sie sich von ihm lösen, doch seine Arme schlossen sich nur noch enger um sie. Anscheinend machte es ihm nichts aus, deshalb gab sie die Kontrolle auf und weinte, bis sie keine Tränen mehr hatte.
»Besser?« Jays sanfte Frage glitt über sie.
Erst jetzt merkte sie, dass er eine Hand um ihren Kopf gelegt hatte und beruhigend durch ihre Haare strich. Oh Gott, das fühlte sich so gut an. Beinahe … liebevoll. Der Gedanke schreckte sie auf. So etwas durfte sie sich nicht einbilden, Jay Hunter wollte ihr helfen und bemitleidete sie, sonst nichts. Zögernd hob sie den Kopf und blickte ihn durch ihre vom Weinen geschwollenen Augen an. »Ja, danke.«
Jay legte seine Hände um ihr Gesicht und wischte mit den Daumen über die Tränenspuren. Die zärtliche Geste ließ ihr Herz schneller klopfen. »Wir werden dafür sorgen, dass du dein Leben zurückbekommst.«
Mühsam unterdrückte Jocelyn weitere Tränen. Wie konnte Jay zu einer Fremden so nett sein? Sie musste furchtbar aussehen und hatte ihm bisher nur Ärger bereitet. Ihr Blick fiel auf sein nasses T-Shirt, und sie schnitt eine Grimasse. Früher war sie immer stolz darauf gewesen, nie die Beherrschung zu verlieren. Davon hatte sie noch nichts gezeigt, seit sie wieder in San Francisco war. »Danke.« Sie richtete sich gerader auf. »Ich glaube, ich werde noch mal kurz ins Bad gehen, wenn ich darf.«
»Natürlich, fühl dich hier ganz wie zu Hause.«
Jay ließ sie los und Jocelyn spürte den Verlust seiner Nähe sofort. Am liebsten hätte sie ihn gebeten, sie festzuhalten und nie wieder loszulassen, stattdessen stand sie rasch auf. Ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen, verließ sie den Raum und ging über den Flur zum Badezimmer. Lautlos zog sie die Tür hinter sich zu. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihr, dass sie noch schlimmer aussah, als sie befürchtet hatte. Ihre abgeschnittenen und gefärbten Haare standen zu allen Seiten ab, ihr Gesicht war gerötet, Augen und Nase geschwollen. Ein Wunder, dass Jay nicht vor ihr davongelaufen war, sondern ihr sogar noch erlaubt hatte, ihn als Taschentuch zu benutzen. Der Gedanke an die kurvenreiche Vi ließ sie auf ihre Lippe beißen. Warum schaffte sie es nicht, diese Frau aus dem
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