Trügerisches Spiel (German Edition)
daran gewöhnen.« Nur zögernd löste sie ihre Finger von Jays.
Er beugte sich zu ihr herunter. »Du …«
Der Rest des Satzes ging in einem lauten Knall unter, als die Haustür aufflog und eine Frau die Treppe hinunter auf sie zulief. Auf den ersten Blick hätte Jocelyn sie für höchstens dreißig gehalten, doch als sie näher kam, musste sie ihre Meinung revidieren. Aus der Nähe waren einige graue Strähnen in ihren halblangen rotbraunen Haaren zu erkennen, Fältchen umgaben Augen- und Mundwinkel, als die Frau Jay mit einem breiten Lächeln im Gesicht umarmte. Jetzt wusste Jocelyn auch, woher Jay diese ungewöhnlich dunklen Augen hatte, sie waren unverkennbar von seiner Mutter vererbt.
Bevor Jocelyn sich wie ein Eindringling vorkommen konnte, löste sich die Frau von Jay und lächelte sie an. »Entschuldige, ich hätte dich zuerst begrüßen sollen, aber ich habe Jonathan so lange nicht gesehen …«
»Wen?« Verwirrt blickte sie Jay an. Röte stieg in seine Ohren, aber er antwortete ihr nicht.
Seine Mutter lachte. »Jonathan. Ich nehme an, Jay hat mal wieder vergessen, seinen richtigen Namen zu erwähnen. Jay ist nur sein Spitzname, weil damals Shane, das ist mein zweitältester Sohn, Probleme damit hatte, den Namen auszusprechen.« Jocelyn musste bei Jays Gesichtsausdruck ein Lachen unterdrücken.
Jay mischte sich ein. »Mom, das ist Ann. Ann, meine Mutter.« Jocelyn schüttelte ihre Hand.
»Nenn mich ruhig Angela.« Jays Mutter lächelte Jocelyn an. »Ich freue mich so, dass Jay seine Freundin mitgebracht hat.«
»Mom, wir hatten das doch besprochen.« Eine Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen.
Angela winkte ab. »Ja, ja. Lass mir doch ein wenig Hoffnung, schließlich werde ich auch nicht jünger.«
Ein Mann erschien hinter Jays Mutter und legte seinen Arm um ihre Schultern. Er war sicher dreißig Zentimeter größer als Angela. Mit seinen ehemals schwarzen, jetzt graumelierten Haaren, den hellbraunen Augen und dem kantigen Gesicht sah er trotz seines Alters unglaublich gut aus. »Du kannst es einfach nicht lassen, oder?« Sein Gesichtsausdruck war liebevoll, als er Angelas Schläfe küsste. »Man sollte annehmen, dass dir eine Ehe und ein Kind bei deinem Nachwuchs erst einmal reichen würden.«
Jay mischte sich rasch ein. »Ann, das ist mein Vater George.«
Ihre Hand verschwand beinahe in Georges größerer. »Freut mich.«
»Mich auch. Wollt ihr reinkommen? Es wird langsam dunkel.« Sein Blick glitt wachsam über die Umgebung und Jocelyn fragte sich, ob Jay ihm erzählt hatte, was vor sich ging.
Jay legte seine Hand auf ihren Rücken und führte sie ins Haus. Es fühlte sich gut an, auch wenn sie wusste, dass er es nur tat, um Punkte bei seiner Mutter zu sammeln. »Wenn du möchtest, bringe ich dich zuerst nach oben, damit du dich ein wenig frisch machen kannst.«
»Aber natürlich.« Angela deutete in Richtung der Treppe. »Geht ihr erst mal hoch. Ich mache in der Zeit das Essen warm, das Martha vorhin gekocht hat.«
Jocelyn folgte Jay die breite Holztreppe hinauf, froh, der etwas überwältigenden Art von Jays Mutter zu entkommen. Sofort überkam sie ein schlechtes Gewissen, weil Angela sich solche Mühe gegeben hatte, eine völlig Fremde willkommen zu heißen, und sie bereits bei der ersten Gelegenheit floh. Eine beeindruckende Galerie ermöglichte ihr einen Blick in das darunterliegende Wohnzimmer. Als sie sah, dass Angela und George dort standen und sich küssten, wandte Jocelyn rasch den Blick ab. Sie konnte sich nicht erinnern, dass ihre Pflegeeltern jemals so etwas in aller Öffentlichkeit getan hatten. Es löste in Jocelyn fast ein wenig Wehmut aus. Wie wäre ihr Leben verlaufen, wenn sie in einer Familie wie den Hunters aufgewachsen wäre? Sicher war hier auch nicht alles rosig, aber die Liebe sowohl zwischen den Eltern als auch gegenüber Jay war unübersehbar.
Jay führte sie einen Flur entlang, von dem etliche Türen abgingen. Vor einer blieb er stehen und öffnete sie. »Hier ist mein Zimmer.« Er geleitete sie hinein, schloss die Tür hinter ihnen und legte dann seine Hände auf Jocelyns Schultern. »Es tut mir leid, dass meine Mutter dich so überfallen hat. Sie ist manchmal etwas …«
»Überwältigend?«
Lächelnd blickte Jay auf sie herunter. »Genau. Ich hoffe, sie hat dich nicht eingeschüchtert. Sie meint es nur gut und möchte, dass du dich wohl fühlst.«
»Nein, gar nicht. Ich bin es nur nicht gewöhnt, so herzlich empfangen zu werden, deshalb war ich
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