Trügerisches Spiel (German Edition)
schlimmer aus, als es ist.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen.«
Red trat näher und im Sonnenlicht erkannte sie, dass seine Haare rötlich braun waren. Vor allem aber konnte sie zum ersten Mal sein Gesicht deutlich sehen und ihr stockte der Atem. Selten hatte sie so viel Kummer und Selbsthass in den Augen eines Menschen gesehen. Was auch immer er getan oder gesehen hatte, es zerfraß ihn innerlich. Red studierte sie genauso aufmerksam, und sie befürchtete, dass er ihr Geheimnis erkennen würde, wenn sie noch länger blieb.
»Es tut mir leid, ich muss zum Haus zurück. Es war nett, Sie kennenzulernen.« Hastig drehte sie sich um und rannte beinahe davon. Red versuchte nicht, sie aufzuhalten, aber sie konnte seinen Blick auf ihrem Rücken spüren.
12
Jays Stimmung war auf dem Nullpunkt, als er den Hörer auflegte und sich in seinem Stuhl zurücklehnte. Gleich nachdem er im Police Department angekommen war, hatte er Scarpettos Anwalt kontaktiert. Doch der Anruf war extrem frustrierend gewesen. Jay hatte den Verdacht, dass Dayton bereits mit einem Kontaktversuch der Polizei gerechnet hatte. Er klang kein bisschen überrascht, als Jay sich identifizierte und ihn nach Scarpetto fragte. Seine Aussage war aalglatt und bestand darin, zu beteuern, dass Scarpetto ihm nichts über die Hintergründe gesagt hätte. Und selbst wenn, fühlte er sich als sein Anwalt auch nach seinem Tod verpflichtet, die Schweigepflicht zu wahren.
So ein aufgeblasener Mistkerl. Da er in der Angelegenheit auch nicht weiterkam, war er im Moment mit seiner Ermittlungsarbeit in Jocelyns Fall in einer Sackgasse gelandet. Und das machte ihn wahnsinnig. Ein Blick auf Daves immer noch leeren Stuhl bestätigte ihm, dass sein Partner nicht plötzlich magisch wieder aufgetaucht war. Um sich irgendwie von seiner Sorge um Jocelyn abzulenken, begann Jay, sich um seine normalen Fälle zu kümmern. Es wäre nicht fair gewesen, Dave die ganze Papierarbeit zu überlassen, während er selbst sich in seiner Arbeitszeit um Dinge kümmerte, für die er nicht bezahlt wurde.
Mit einem tiefen Seufzer zog er die Akte des aktuellsten Mordes zu sich heran und begann damit, den Bericht zu lesen, den Dave bereits geschrieben hatte. Anschließend zeichnete er ihn ab, damit er zu Captain Morris geschickt werden konnte. Jay war gerade dabei, sich die Aussage des mutmaßlichen Mörders durchzulesen, als sein Handy klingelte. Rasch zog er es heraus und blickte auf das Display. Telefonnummer unterdrückt. Zumindest konnte er sicher sein, dass es nicht seine Eltern waren, und atmete auf.
»Hunter.«
»Wenn Sie Informationen über einen gemeinsamen Bekannten haben möchten, treffen Sie mich in einer Stunde im Warm Water Cove Park.«
Jay setzte sich ruckartig auf und presste das Handy fester ans Ohr. »Über welchen Bekannten reden wir hier?«
»Sagen wir einfach, ich habe Ihren Auftritt bei Alfredo’s vor einigen Monaten sehr genossen. Wenn Sie etwas anderes sehen wollen als Porzellanfiguren, kommen Sie.«
Es schien sich also um jemanden aus Leones Gefolge handeln. Er konnte sich zwar niemanden vorstellen, der es wagen würde, gegen den Mafiaboss auszusagen, aber vielleicht hatte er Glück und erhielt wenigstens einige nützliche Informationen. Oder es handelte sich um eine Falle. Der Park lag direkt an der Central Waterfront, inmitten von Industriegrundstücken. Nicht gerade die beste Gegend. »Woher weiß ich, dass Sie mir die Wahrheit sagen?«
Der Mann lachte. »Gar nicht, aber wenn Sie nicht kommen, werden Sie es bereuen. Oder vielmehr Ihre kleine Freundin.«
Jay hatte Mühe, den Impuls zu unterdrücken, durch das Telefon zu greifen und den Mann zu würgen. Aber das konnte er ja dann erledigen, wenn er ihn traf. »In Ordnung.«
»Dann sehen wir uns in einer Stunde. Kommen Sie pünktlich – und allein.« Die Verbindung wurde beendet.
Langsam ließ Jay das Handy sinken. Die Frage war, was er jetzt tun sollte. Morris konnte er nichts davon sagen, weil er ihm nichts von Jocelyn erzählen wollte. Normalerweise würde er Dave als Rückendeckung mitnehmen, aber sein Partner war immer noch verschollen. Ein kurzer Anruf verband ihn nur mit Daves Mailbox, auf der er eine Nachricht hinterließ, wo er sein würde und warum. Seinen anderen Kollegen vertraute er nicht so weit, dass sie bei so einer Aktion ohne Morris’ Befehl mitmachen würden. Auch Chris konnte er nicht um Hilfe bitten, sein Haus lag zu weit draußen, als dass er in einer Stunde an der Central Waterfront
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