Trügerisches Spiel (German Edition)
War es dagegen jemand anders … Jay wusste nicht, was er dann tun würde. Er konnte sich nicht vorstellen, was es für einen Grund geben könnte, Jocelyn aus dem Weg zu räumen, wenn es nicht um den Überfall im Fahrstuhl ging. Aber das war jetzt nebensächlich.
Jay schüttelte jegliche Gedanken ab und konzentrierte sich auf seine Umgebung. In seiner Kindheit und Jugend war er ständig durch diesen kleinen Wald gestreift, er kannte ihn in- und auswendig. Trotzdem wünschte er, er hätte Clints Fähigkeit, sich in jedem Terrain absolut lautlos zu bewegen.
Als das Handy an seiner Hüfte vibrierte, zuckte er zusammen, bevor er es rasch ans Ohr hielt. »Ja?« Er bemühte sich, seine Stimme leise zu halten.
»Red hier, ich bin jetzt unterwegs.«
Erleichtert schloss Jay für einen Sekundenbruchteil die Augen. »Danke. Der Kerl war anscheinend im Wald genau gegenüber der Stelle, wo wir uns getrennt haben.«
»Okay, ich bin beinahe da. Wenn du ihn siehst, ruf mich an.«
Die Verbindung wurde unterbrochen und Jay steckte das Handy zurück in seine Hosentasche. Sofort setzte er sich wieder in Bewegung und ignorierte die Zweige, die an seine nackten Arme und Beine peitschten und an seiner Kleidung rissen. Er fühlte sie kaum, so sehr war er auf seine Umgebung konzentriert. Es dauerte nicht lange, bis er glaubte, das Rascheln von Blättern zu hören. Jeder Muskel in seinem Körper erstarrte, als er stehen blieb und lauschte. Ja, da war etwas. Leise, aber unmissverständliche Geräusche von jemandem, der sich relativ schnell durch einen Wald bewegte. Jay konnte nur hoffen, dass der Mistkerl so viel Lärm machte, dass er ihn nicht hörte, als er die gleiche Richtung einschlug und ebenfalls schneller wurde.
Sein verstauchter Knöchel schmerzte, doch darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Humpelnd bewegte er sich vorwärts, in die Richtung, aus der er vorher die Geräusche gehört hatte. Sein Herz klopfte zu laut und sein Atem kam zu harsch, als dass er jetzt noch viel hören konnte. Schließlich blieb Jay stehen. Es brachte nichts, halb blind und taub durch den Wald zu stolpern. Nach kurzem Zögern rief er Red an.
»Ja.« Seine Stimme war völlig tonlos.
»Ich verfolge gerade jemanden, der scheinbar Richtung Straße läuft. Mit meinen Verletzungen bin ich aber nicht leise und fit genug, um mich anzuschleichen. Kannst du das übernehmen?«
»Kein Problem. Ich bin dran.«
Jay blickte auf das Handy, als die Verbindung unterbrochen wurde, ohne dass Red nach seinem Standort fragte. Anscheinend war er so laut gewesen, dass Red bereits wusste, wo er sich befand. Ärger, dass er von seinen Verletzungen so behindert wurde, mischte sich mit Erleichterung darüber, dass der SEAL zur Stelle war. Auch wenn er immer alles am liebsten alleine machte, wusste er, wann er auf Hilfe angewiesen war. Und wenn es um Jocelyns Leben ging und um das seiner Eltern, war er sich nicht zu fein, darum zu bitten. Aber das bedeutete nicht, dass er hier einfach nur untätig herumsitzen würde.
Langsam setzte er sich wieder in Bewegung, noch langsamer als zuvor. Immerhin funktionierte sein Gehör jetzt wieder normal, doch es herrschte völlige Stille. Hatte er den Verbrecher wirklich verjagt oder versteckte der sich irgendwo, um zu einem späteren Zeitpunkt zuzuschlagen? Das würde er nicht zulassen. Mit fest zusammengebissenen Zähnen schlich Jay weiter. Hoffentlich hatte Red Erfolg. Aber selbst wenn sie den Schützen überwältigten, musste er Jocelyn so schnell wie möglich woanders hinbringen. Der Gedanke, dass er auch seine Eltern in Gefahr gebracht hatte, verursachte ihm Übelkeit.
Die Haare in seinem Nacken stellten sich auf, und Jay blieb stehen. Obwohl er nichts hörte und auch niemanden sah, hatte er das Gefühl, dass jemand in der Nähe war. Die Pistole fest im Griff drehte er sich langsam um. Doch da war nichts. Es war nur … still. So als hätten sich sämtliche Tiere verkrochen, weil sie spürten, dass etwas passieren würde. Selbst der Wind erstarb für einen Moment und hinterließ drückende Hitze. Ein Schauer strich über seinen Rücken, und Jay ließ sich fallen. Sein Instinkt erwies sich als goldrichtig, denn fast zeitgleich flog etwas über seinen Kopf hinweg. Adrenalin schoss durch seinen Körper und gab ihm die Kraft, sich herumzuwerfen und in die Richtung zu feuern, aus der das Geschoss gekommen war. Er konnte nur hoffen, dass Red nicht gerade aus der Richtung kam.
Sosehr er auch lauschte, er konnte nichts hören,
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