Trümmermörder
misstrauisch an.
Hat ihn seine Zeugin hereingelegt? Wohnt sie nicht hier? Er beschreibt sie.
»Ach die«, sagt der Alte neugierig und versperrt nicht länger den Eingang.
Stave betritt die Nissenhütte. Wie lange mag der Alte wohl schon unter dem gleichen Dach wohnen wie Anna von Veckinhausen? Und er kennt nicht einmal ihren Namen.
Der gusseiserne Ofen im Zentrum der Baracke, kleiner als ein Bierfass, bollert. Flammen lodern, orangefarbenes Leuchten dringt durch die Ritzen neben der schlecht schließenden Klappe. Ein Hauch von Ruß hängt in der abgestandenen Luft. Die Nissenhütte ist nicht viel größer als die Laube eines Schrebergartens. Staves Gesicht glüht nach wenigen Sekunden von der abstrahlenden Hitze des Ofens; sein Rücken jedoch, den er der Blechwand zuwendet, bleibt kalt. Wenn der Ofen einmal ausgeht, dann erfrieren alle hier, denkt er. Er fragt sich flüchtig, ob die Bewohner nachts einen Wachdienst einrichten, damit immer einer das Feuer im Auge behält. Wie in der Steinzeit.
Graue Decken aus Wehrmachtsbeständen sind an Drähten quer durch die Baracke gespannt, sodass vom Zentrum der Nissenhütte mit dem Ofen aus vier abgetrennte Bereiche zugänglich sind.
Der alte Mann geht am Ofen vorbei zur linken hinteren Ecke und ruckelt an einer Decke. »Besuch für Sie!« Er schreit es heraus, als stände er auf einem Kasernenhof.
Nach ein paar Augenblicken schlägt Anna von Veckinhausen die Stoffbahn hoch. Stave erhascht einen Blick auf ein Feldbett, zwei umgedrehte Obstkisten, die wohl als Stuhl und Tisch dienen, einen Überseekoffer, ein kleines Ölgemälde, das an der gewölbten Barackenwand lehnt: eine Kirche im Winter.
Sie tritt rasch hervor, schlägt die Decke zurück und versperrt ihm den Blick auf ihre Unterkunft. Vielleicht hat sie etwas zu verbergen, denkt Stave. Vielleicht schämt sie sich aber auch nur. Sie sieht erschöpft aus – und nicht unbedingt erfreut, ihn zu sehen.
»Ich möchte Ihnen noch einmal ein paar Fragen stellen«, beginnt Stave.
»Braucht Ihr Freund von der Zeitung Material für einen neuen Artikel?«
Bevor er antworten kann, verschwindet sie wieder in ihrem Verschlag. Für einen Moment befürchtet der Oberinspektor, wie ein dummer Schuljunge stehen gelassen worden zu sein. Was sollte er auch tun? Sie muss ihm nicht antworten – es sei denn, er schickte ihr eine Vorladung. Aber ohne triftigen Grund? Was, wenn sie sich dann bei ihren englischen Offiziersfreunden über ihn beschwert? Ärger hat er schon genug. Doch zu seiner Erleichterung erscheint sie nach einigen Sekunden wieder, in Mantel und Kopftuch.
Der Alte steht noch immer neben dem Ofen und starrt aufmerksam hinüber.
»Lassen Sie uns spazieren gehen«, sagt Anna von Veckinhausen – laut genug, dass ihr Mitbewohner das hören kann.
Stave wäre lieber in der Nähe des Ofens geblieben, um die Hitze in sich aufzusaugen. Doch er nickt, erleichtert darüber, dass sie überhaupt mit ihm reden will.
Sie schlendern schweigend durch die Ruinen, bis sie die Wandse erreichen. Vor dem Krieg ein Bach, an manchen Stellen zu Tümpeln aufgestaut, der zwischen Wiesen und Buchen dahinfloss. Ein grüner Streifen quer durch Hamburgs Osten, nur wenige hundert Meter breit, doch einige Kilometer lang. Enten auf dem stillen Wasser, angelockt von Brotkrümel werfenden Kindern. Ab und zu ein Reiher, der im Schilf auf Fische lauerte, grau und starr wie eine geschnitzte Skulptur. Schmetterlinge, Spatzen, Eichhörnchen, die in den Ästen turnen, dass die Blätter rascheln, Maulwurfshügel.
Nun ist die Wandse ein Band aus schwarzgrauem Eis, durchgefroren bis zum Grund. Fische, Reiher, Enten sind verschwunden, erfroren oder gefangen und auf irgendeiner Brennhexe gekocht. Die Bäume zerhackt von Holzsammlern. Nur die mächtigsten Stämme stehen noch, manche zernarbt von den Metallsplittern zerplatzter Bomben, andere versengt. Die Wiesen sind an vielen Stellen unter Schuttbergen verschwunden, zerschmetterten Ziegeln und Steinstaub, dort abgeladen, um die Straßen der Umgebung rasch zu räumen.
»Sie haben dem Journalisten gesagt, dass ich den Trümmermörder gesehen habe«, sagt Anna von Veckinhausen vorwurfsvoll, als sie endlich am Bachufer stehen.
Stave, erleichtert, dass er sein linkes Bein kurz ausruhen kann, hebt entschuldigend die Hände. »Ich habe ihm gesagt, dass eine Frau den Täter gesehen hat. Kleensch hätte das so oder so erfahren. Besser er hört meine Version der Geschichte, als dass er sich alles selbst
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