Trümmermörder
die Arbeit erleichtert, hoffe ich«, verkündet Stave. Dann wendet er sich wieder an MacDonald. »Haben Sie sich bei Ihren Kameraden umgehört?«
»Die haben geguckt, als ich ihnen abends im Club das Foto einer erwürgten Frau präsentiert habe«, antwortet der Lieutenant. »Aber niemand hat diese Dame je gesehen. Die Offiziere werden sich noch bei den Mannschaften umhören, aber ich befürchte, dass das auch zu nichts führen wird.«
Maschke schnaubt verächtlich, doch er sagt nichts, als er Staves warnenden Blick auffängt.
»Bleiben Sie trotzdem dran«, murmelt der Oberinspektor. »Es ist wie mit den Chirurgen und der Blinddarmoperation: Solange wir nicht alle potenziellen Zeugen erwischt haben, können wir nicht hundertprozentig sicher sein.«
Der Lieutenant nickt. »Es ist mir ein Vergnügen.« Wieder lächelt er.
Für den ist die Fahndung vielleicht so eine Art Sport wie die Fuchsjagd, denkt Stave, und vielleicht ist das nicht einmal die verkehrteste Einstellung. Er seufzt. »Ich muss jetzt zum Staatsanwalt und ihm Bericht erstatten. Herr Lieutenant, wären Sie so freundlich und würden sich noch ein wenig bei Ihren Kameraden umhören? Britische Soldaten sind nämlich zurzeit die Einzigen, die Hamburg problemlos verlassen können. Die Zeit drängt also.«
MacDonald nickt.
»Und Maschke, gehen Sie zu den Kollegen vom Raubdezernat. Vielleicht haben wir es mit Raubmord zu tun. Ein Opfer, das komplett ausgeplündert wird. In diesen Zeiten bringt ja selbst eine Unterhose etwas auf dem Schwarzmarkt ein. Schauen Sie, ob die etwas in ihren Unterlagen haben.«
Maschke räuspert sich, plötzlich verlegen. »Sie wissen doch, Herr Oberinspektor: die Akten …«
Stave flucht leise. Die Gestapo hatte ab dem 20. April 1945, als die Briten kurz vor der Stadt standen, Akten verbrannt, zum Teil in den Krematorien des Konzentrationslagers Neuengamme. Damit hatten sie nicht nur die Spuren ihrer Verbrechen verwischt, sondern auch viele Unterlagen über Straftaten gewöhnlicher Krimineller vernichtet. Sollte also vor 1945 ein Raubmörder mit einer derartigen Vorgehensweise umgegangen sein – Mord durch Drahtschlinge, Plünderung der Opfer bis zur Unterwäsche –, dann würden sie womöglich über ihn keine Akten mehr finden.
»Versuchen Sie es trotzdem«, ordnet Stave an.
Maschke erhebt sich und geht. Mit einem Nicken verabschiedet er sich von Stave, den Lieutenant ignoriert er.
MacDonald hat sich ebenfalls erhoben. Beiläufig fragt er: »Welcher Staatsanwalt ist für diesen Fall zuständig?«
»Doktor Ehrlich«, antwortet Stave. »Ich hatte bis jetzt noch nie etwas mit ihm zu tun.«
»Ich kenne ihn – aus England.« Der Lieutenant blickt ihn halb spöttisch, halb mitleidig an. »Sie sollten sich auf etwas gefasst machen. Ein harter Knochen, auch wenn man ihm das nicht ansieht. Aber ich glaube, dass Ehrlich auf die Hamburger Polizei nicht allzu gut zu sprechen ist.«
Stave lässt sich wieder auf seinen Stuhl fallen und bietet MacDonald ebenfalls Platz an. »Ein paar Minuten haben wir noch. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich ins Bild setzen.«
MacDonald lächelt. »Das bleibt unter uns.«
»Selbstverständlich.«
»Herr Ehrlich«, fährt der Lieutenant versonnen fort, »ist seit 1929 bei der Staatsanwaltschaft Hamburg. Ein sehr kultivierter Mann, hochgebildet, musisch begabt, ein Sammler moderner Kunst, vor allem der Expressionisten. Und, leider, Jude.«
Der Oberinspektor schließt die Augen, weil er ahnt, was kommen wird.
»1933 wurde er selbstverständlich sofort entlassen«, MacDonald erzählt dies noch immer im Plauderton. »Er schlug sich zunächst als Korrekturleser für einen juristischen Fachverlag durch, seine Frau – eine Arierin wie aus einer Wagneroper übrigens – gab Klavierstunden. Die beiden Söhne schickten sie auf ein englisches Internat, um sie aus der Schusslinie zu bringen. Dann kam die Reichskristallnacht.«
Stave nickt. Er erinnert sich an diese Nacht: Als die ersten Brandmeldungen eingingen, wollte er aus dem Kommissariat in Wandsbek zur nächsten Synagoge eilen. Doch dann kam der Befehl, im Büro zu bleiben. Ein ziemlich rüder Befehl. Er parierte. Nicht gerade die heldenhafteste Tat in seinem Leben. Er hatte nie mit jemandem darüber gesprochen, nicht einmal mit Margarethe.
»Ehrlich wurde noch am 1. November 1938 verhaftet und ins KZ Neuengamme gebracht. Muss eine harte Zeit gewesen sein, auch wenn er nie mehr als Andeutungen darüber gemacht hat. Nach einigen Wochen kam
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