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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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unbeschreiblichen Geschmacks. Er schlingt die Sachen hinunter und fühlt sich danach hungriger als zuvor. Wenn er wenigstens einen Kaffee trinken könnte. Er seufzt, zahlt und hinkt hinaus.
    Im Büro wartet MacDonald bereits auf ihn – das sagt er zumindest. Der Oberinspektor hat den leisen Verdacht, dass den Lieutenant eher die Aussicht auf einen Plausch mit Erna Berg zum Karl-Muck-Platz gelockt hat als die Mordermittlungen.
    »Was gibt es Neues aus der Army?«, fragt er ihn.
    MacDonald macht eine entschuldigende Geste, die ihn für einen winzigen Moment wie einen kleinen Jungen aussehen lässt. »Überall große Augen, wenn ich das Foto hervorziehe. Aber niemand scheint die Tote zu kennen.«
    »Haben Sie Ihren Jeep dabei?«
    Der Lieutenant nickt. »Eine Verfolgungsjagd? So wie in diesen amerikanischen Filmen? Soll ich uns Maschinenpistolen besorgen?«
    Gegen seinen Willen muss auch Stave lächeln. »Und die Knarren verstecken wir in einem schwarzen Sarg. Wir fahren zum Friedhof.«
    Der Oberinspektor ist erleichtert, dass er sich nicht mit der Straßenbahn und zu Fuß auf den langen Weg bis in Hamburgs Osten machen muss. MacDonald führt ihn bis zu einem kastenförmigen, schlammfarbenen Jeep, der vor dem Haupteingang parkt. Als er losfährt, wackelt die klappbare Windschutzscheibe, es zieht erbärmlich durch die Ritzen im Stoffverdeck, die Stoßdämpfer sind so hart, dass jedes Schlagloch wie ein Fausthieb in die Lendenwirbel kracht. Egal. Stave schließt für einen Moment die Augen und massiert, unauffällig, wie er glaubt, den Oberschenkel seines verkrüppelten Beines. Die Muskeln schmerzen, weil er verkrampft geht.
    »Eine alte Verletzung?« MacDonald fährt aufmerksam und sieht nach vorne, doch er muss ihn irgendwie aus den Augenwinkeln beobachtet haben.
    Stave fühlt sich ertappt. »Ein Dachbalken von oben; war nicht schnell genug«, erklärt er knapp.
    Der Lieutenant nickt nur.
    »Wieso sprechen Sie so gut Deutsch?«, will Stave wissen, weil er von sich ablenken will und ihm keine bessere Frage einfällt. Er muss die Stimme heben, um den röhrenden Motor zu übertönen.
    »Ich habe es in Oxford gelernt. Oriel College. Dort habe ich Geschichte studiert und mich dabei auf Preußen spezialisiert. Meinen Master habe ich über Bismarcks Einstellung zu Großbritannien vor 1870 geschrieben. Ich war sogar in Berlin, um Akten einzusehen.«
    »Und das alles vor dem Krieg?«, entfährt es dem Oberinspektor. »Wie alt sind Sie denn?«
    MacDonald lacht. »Ich bin ein Weihnachtskind, 24. Dezember 1920. In Berlin war ich in meinem ersten Studienjahr, mit achtzehn. Das war im Sommer 1939. Eigentlich wollte ich mehrere Monate bleiben, doch als im August immer klarer wurde, dass ein Krieg droht, habe ich meine Zelte abgebrochen. In einem möblierten Zimmer dort müssen noch ein paar Bücher von mir verstauben. Falls das möblierte Zimmer nicht ausgebrannt ist.«
    »Und wie kamen Sie gerade auf preußische Geschichte? Ziemlich exotisches Fach in Oxford, nehme ich an.«
    »Oxford besteht ausschließlich aus exotischen Fächern.« MacDonald lächelt nostalgisch, dann wird er plötzlich ernst.
    »Wissen Sie, wie eine Klassengesellschaft funktioniert, Herr Oberinspektor? Earls und Dukes, Eliteinternate, Clubs in London, steife Oberlippen, Ahnen, die mit Wilhelm dem Eroberer im Boot saßen?«
    Stave schüttelt den Kopf, nickt dann aber, selbst überrascht. »Bei uns hieß das: Parteigenosse oder Volksgenosse oder gar Nichtarier. Ritterliche Vorfahren musste man zwar nicht haben, aber es hat kolossal geholfen, wenn man 1923 beim Marsch auf die Feldherrenhalle schon dabei war oder doch wenigstens vor dem März 1933 in der Partei.«
    »Sie aber wollten sich nicht helfen lassen.«
    »Volksgenosse ja, das ließ sich nicht ändern. Parteigenosse: nein.«
    MacDonald schweigt und starrt nach vorne. Ziegelschutt und Betonplatten beidseits der Straße, verbogene Rohre darin wie groteske Skulpturen. Eine einzelne, vier Stockwerke hohe Mauer. Ganz oben noch Tapetenfetzen, die im Wind flattern wie Flaggen. Dann ein freigeräumtes Gelände, darauf zwei Dutzend Nissenhütten: Baracken, die aussehen wie der Länge nach aufgeschnittene Fässer aus Wellblech. Von den Briten aufgebaute Notunterkünfte für Tausende Ausgebombte.
    »Ich bin nicht mit steifer Oberlippe geboren«, fährt der Lieutenant nach einer Weile fort. »Meinen Eltern gehört ein Kramladen in Lockerbie, einem Ort in Südschottland. Ich wollte aber nicht mein Leben im Nirgendwo

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