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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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verbringen. Ich habe gelernt, bis ich ein Stipendium für Oxford ergattert habe. Dort habe ich dann deutsche Geschichte belegt, weil ich mir sicher war, dass wir noch einmal Krieg mit euch haben werden. Es war mir klar, dass ihr nach dem Ersten Weltkrieg noch eine Rechnung mit uns offen hattet. Da dachte ich mir, lerne den zukünftigen Feind kennen, dann bist du nützlich für dein Land.«
    »Scheint funktioniert zu haben«, murmelt Stave.
    MacDonald lächelt. »Am Anfang habe ich mich manchmal gefragt, ob ich im Sommer 1939 nicht in Berlin hätte bleiben sollen. Hitler sah wirklich wie der sichere Sieger aus. Aber schließlich kam es ja doch anders – und nun bin ich hier in Hamburg. Sie werden es nicht glauben, Herr Oberinspektor: Aber selbst in ihrem jetzigen Zustand gefällt mir die Stadt besser als das Kaff, aus dem ich stamme.«
    »Stimmt: Ich glaube es Ihnen nicht«, antwortet Stave müde. »Da vorne rechts. Bald sind wir da. Unser Friedhof ist auf jeden Fall größer als der von Lockerbie.«
    Sie halten vor dem niedrigen, breiten Torbau. Der Friedhof dahinter war vor dem Krieg ein schöner, großer Park – so groß, dass sogar Straßen hindurchführten mit Bushaltestellen. Nun sind die meisten Büsche und Bäume kleingehackt von Holzsammlern, viele Gräber verwildert, weil niemand mehr die Kraft hat, sie zu pflegen – oder weil niemand mehr da ist.
    Stave und MacDonald schlendern über einen geraden Weg, der zum Zentrum des Öjendorfer Friedhofs führt. Viele neu angelegte Gräber, denkt der Oberinspektor. Dann fällt sein Blick zufällig auf einen Urnenhain, eine Art Garten inmitten des Friedhofs, wo unter Blumenrabatten Urnen vergraben sind. Es gibt keine neuen Gräber hier, denn niemand verbrennt mehr Leichen, da auf Tote kein kostbares Brennmaterial verschwendet werden darf. Im Zentrum des Urnenhains erhebt sich die Bronzeskulptur einer sitzenden Trauernden. Ein Wunder, dass sie bislang Plünderern entgangen ist.
    Stave erinnert das Frauenbildnis plötzlich an Margarethe, obwohl die Figur keine Ähnlichkeit mit seiner Gattin hat. Er wendet sich ab, damit MacDonald nicht sieht, wie er um Fassung ringt. Margarethe liegt auch auf dem Öjendorfer Friedhof, doch Stave scheut sich, zusammen mit dem Lieutenant an ihr Grab zu treten. Er sagt nichts und geht weiter, schneller als zuvor.
    Sie kommen pünktlich an: ein müder Pastor, zwei Sargträger, eine offene Grube. Der Boden ist mehr als einen Meter tief gefroren; Stave fragt sich, wie sie das Grab geschaufelt haben. Wahrscheinlich nicht geschaufelt, sondern mit der Spitzhacke aufgebrochen.
    Der Pastor murmelt ein Gebet, eine schwarze Bibel in bläulich verfrorenen Händen. Er hat es eilig, Stave kann kein Wort verstehen. Diskret bleiben er und der Lieutenant im Hintergrund stehen und sehen sich unauffällig um. Niemand in der Nähe. Die Leichenträger schleppen den Sarg bis zur Grube, legen ihn auf zwei quer liegenden Balken darüber und öffnen an einem Hebel den Sargboden. Die in ein gräuliches Tuch eingehüllte Leiche stürzt heraus wie durch eine Falltür und trifft mit dumpfem Schlag auf den harten Boden. Das Geräusch ihres Aufpralls klingt schreckenerregend laut in der Stille. Die beiden Männer schließen den Behelfssarg wieder und schleppen ihn davon. Sie werden ihn noch oft verwenden; auch das spart Holz. Der Pastor nickt Stave und MacDonald zu, dann wendet er sich ab.
    »Das hätten wir uns wohl sparen können«, murmelt der Lieutenant und schlägt die Hände zusammen.
    »Es war einen Versuch wert«, antwortet Stave. Seine Stimme klingt unbeteiligt.

Ein alter Mann
Samstag, 25. Januar 1947
    Stave sitzt in seiner dämmrigen Wohnung und wärmt sich die Hände an der Tasse mit dampfendem Ersatzkaffee. Langsam schlürft er das bittere Getränk. Eigentlich sollte er schon längst aufgestanden sein, sollte schon seit dem frühen Morgen die Bahnsteige am Hauptbahnhof abpatrouillieren, sollte nach seinem Sohn fragen.
    Karl ist ihr einziges Kind. Sie hätten gerne mehr gehabt, doch er und Margarethe haben keine weiteren bekommen; die Ärzte fanden nie heraus, warum. Karl ist jetzt neunzehn Jahre alt, denkt Stave. Falls er noch lebt.
    Er wünschte, sie hätten sich nicht gestritten, damals, als Karl sich freiwillig noch für die Front meldete. Jugendlicher Idealismus, Kampfesmut, Verachtung für den Vater? Er muss ihn suchen.
    Andererseits ist Stave müde. Zwar ist er aus Gewohnheit früh aufgestanden, doch dann hat er in seiner Wohnung die wenigen

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