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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Stave.
    Fünf Minuten später fühlt sich der Oberinspektor wie ein Skatspieler, der sein Blatt überreizt hat. Ziemlich hoch überreizt.
    Der Verdächtige, der blass und gekrümmt auf dem Stuhl vor ihm hockt, hat ein perfektes Alibi. Er hat Lebensmittelkarten in anderen Städten der Britischen Zone »organisiert«, um sie in Hamburg, wo die besten Preise gezahlt werden, wieder loszuschlagen. Dabei wurde er beobachtet und verhaftet. Nur einen Teil seiner Beute fanden die Beamten, wofür dem Mann vierzehn Tage Haft aufgebrummt wurden. Ein Anruf bei den Kollegen in Lüneburg und Stave weiß, dass der Mann zur vermutlichen Tatzeit um den 20. Januar tatsächlich in einer sauberen Zelle saß, 60 Kilometer entfernt von Hamburgs Ruinen. Er lässt den Mann abführen und schreibt eine Akte für den britischen Richter, der sich die Fälle morgen vornehmen soll.
    »Der Nächste!«, ruft er dem draußen wartenden Schupo zu, resigniert.
    Ein blasser Student, Vater in Stalingrad vermisst, Mutter bei einem Bombenangriff gestorben, erwischt mit 80 Zigaretten und 17,40 Reichsmark. Der Nächste. Ein wegen Zuhälterei vorbestrafter Schieber, 3000 Reichsmark in den Taschen, doch keine heiße Ware am Mann. Der Nächste. Eine Hausfrau mit einem halben Pfund Butter. Der Nächste. Ein Junge, ohne Ware, ohne Zigaretten, ohne Geld. Stave schickt ihn gleich nach Hause. Der Nächste. Ein Alter, der zwei Uhren verhökern wollte.
    Zwei Uhr nachts: Stave fühlt sich, als sei ein Sherman-Panzer über ihn gerollt. Als ihm Erna Berg eine Tasse Tee hereinreicht, sieht er Sterne, als die heiße Flüssigkeit seine aufgeplatzte Lippe benetzt.
    Seine Augen tränen, wenn er bei jedem neuen Verhafteten das Verbrecheralbum der Kripo durchblättert, in dem alle vorbestraften Täter registriert sind: Personenbeschreibung, Fingerabdrücke, bestimmte, unveränderliche äußere Merkmale, letzte bekannte Adresse, Foto von vorne und im Profil.
    Er ist hungrig. Ihm ist kalt. Er hat das dringende Bedürfnis, dem nächsten Menschen, der den Raum betritt, den Schädel einzuschlagen.
    Es ist Anna von Veckinhausen.
    Ein Blick aus ihren dunklen Augen, und er ahnt, dass sie so zornig ist wie er. Das kann noch heiter werden, denkt der Oberinspektor.
    Er ist höflich, bietet ihr einen Platz an, lässt sich nicht anmerken, dass er sie schon einmal verhört hat. Ob sie hofft, dass er sie unter den Dutzenden Verhafteten nicht wiedererkennt? Sie deutet jedenfalls auch nicht an, dass sie sich schon begegnet sind. Gute Selbstbeherrschung, sagt sich Stave – ein Indiz für eine gewisse Kaltblütigkeit.
    Er fährt mit der Hand durch das Verbrecheralbum. Kein Eintrag. Dann blickt er auf den Zettel mit ihren Daten, den ihm ein Schupo, wie bei jedem Verhafteten, hereingereicht hat: Geboren am 1. März 1915 in Königsberg. Keine weiteren Angaben zur Familie oder zu den Umständen, wann und wie sie nach Hamburg gelangt ist. Immerhin kann er jetzt ihren Dialekt einordnen.
    »Mit welcher Ware haben Sie auf dem Schwarzmarkt gehandelt?«, fragt er schließlich.
    »Ich habe gar nicht gehandelt«, antwortet sie. Zorn in der Stimme. »Ich war auf dem Weg vom Hauptbahnhof und überquerte gerade den Hansaplatz, als Ihre …«
    »Razzia«, schlägt Stave freundlich vor.
    »Aktion«, fährt sie fort, »gestartet wurde. Ich habe dem Beamten, der mich verhaftet hat, bereits gesagt, dass es sich um einen Irrtum handelt. Aber der hörte mir nicht einmal zu. Methoden wie bei der Gestapo.«
    Der Oberinspektor lässt sich nicht provozieren – zumal Anna von Veckinhausen so ganz falsch nicht liegt. Er blickt wieder auf seine Unterlagen. »Wir haben 537 Reichsmark bei Ihnen sichergestellt«, sagt er ruhig. »Können Sie mir erklären, was Sie mit einem derartigen Vermögen auf dem Schwarzmarkt zu suchen hatten?«
    »Ich muss Ihnen gar nichts erklären. Mein Geld ist mein Geld.«
    »Ich frage mich, ob Sie vor der Razzia etwas verkauft haben. Vielleicht einen Gegenstand, der noch ein paar Tage zuvor einem etwa siebzig Jahre alten Mann gehört hat?«
    Anna von Veckinhausen sieht aus, als wolle sie vom Stuhl springen. Dann schließt sie kurz die Augen und atmet tief durch. »Ich hatte gedacht, dass Sie sich nicht mehr an mich erinnern«, murmelt sie.
    »Dann hätte ich nicht diesen Beruf.« Stave erlaubt sich ein schwaches Lächeln.
    »Ich habe nichts auf dem Schwarzmarkt verkauft«, antwortet Anna von Veckinhausen. »Sie haben ja alle Menschen auf dem Hansaplatz festgenommen. Fragen Sie doch jeden

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