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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Geschichte zusammenreimen: Karl Trotzauer, neunzehn Jahre, wohnhaft in St. Pauli, ohne Beschäftigung, auf dem Schwarzmarkt erwischt mit einer Flasche Kümmel und einem alten Ölbild in goldenem Rahmen, das einen Bergbauernhof zeigt. Doch wegen des Besitzes von Schnaps und Kitsch wird niemand verprügelt. Maschke aber hat offenbar jeden Verhafteten auch gefragt, wo er sich am 20. Januar aufgehalten hat. Und Trotzauer, ahnungslos, hatte ausgesagt, er sei an jenem Tag bei seiner Tante in Eimsbüttel gewesen und später über die Lappenbergsallee nach Hause gegangen.
    »Dann hat er damit angefangen«, fährt er fort und deutet auf sein zugeschwollenes Auge. »Ohne Vorwarnung, ohne Geschrei, einfach so. Tritte und Schläge. Ich dachte, ich sterbe.«
    »Und dann?«
    »Als ich wieder etwas zu mir gekommen war, hat er mich gefragt, wie ich den Alten umgebracht habe.«
    »Den Alten?«
    »Ich hatte keine Ahnung, wovon der sprach. Erst nach weiterer Prügel begriff ich, dass Maschke einen Toten meinte. Und irgendwann dämmerte mir, dass er von mir ein Geständnis wollte, irgendeinen alten Mann umgebracht zu haben.«
    »Haben Sie?«
    Trotzauer wirft ihm einen finsteren Blick zu. »Es hat verdammt wehgetan, aber ich bin nicht blöd. Natürlich habe ich nicht gestanden, weil es nichts zu gestehen gibt. Ich habe keinen alten Mann umgebracht. Das habe ich Maschke auch immer wieder gesagt. Zwischen den Schlägen. Irgendwann hat er mich laufenlassen und mir geschworen, dass er mich drankriegt.«
    »Sie können gehen«, antwortet Stave.
    Auf dem langen Rückweg hat der Oberinspektor viel Zeit zum Nachdenken. Einmal muss er einer britischen Streife seinen Kripo-Ausweis zeigen. Ansonsten sieht er niemanden. Es ist, als sei Hamburg leer, die Ruinen und aufgerissenen Straßen, die ausgeweideten Läden und zerbombten Bahnhöfe aufgegeben von den Bürgern, die fortgezogen sind, um anderswo eine bessere Stadt aufzubauen.
    War Maschke in der Gestapo? Angeblich ist er doch noch relativ frisch von der Polizeischule, kann also nicht vor 1945 dabei gewesen sein. Außerdem mag sich Stave den großen, schlaksigen, kettenrauchenden, bei seiner Mutter wohnenden Kollegen nicht als jemanden vorstellen, der morgens um fünf Uhr die Wohnungstüren von Juden eintritt.
    Aber selbst wenn Maschke in der Gestapo gewesen wäre: Warum sollte er kleine Schwarzhändler zusammenschlagen? Übereifer im Dienst? Nur weil jemand zur vermutlichen Tatzeit des zweiten Mordes in der Nähe gewesen war, muss man ihn nicht verprügeln. Warum will Maschke einen Neunzehnjährigen zum Verdächtigen machen, den praktisch nichts belastet? Warum ein Geständnis herausboxen wollen, das aller Wahrscheinlichkeit nach nichts mit dem wahren Täter zu tun gehabt hätte?
    Ich weiß eigentlich nichts über Maschke, denkt Stave, als er endlich vor seiner Haustür steht. Wird Zeit, mal in dieser Hinsicht nachzufassen. Aber vorsichtig. Morgen, nach ein paar Stunden Schlaf.
    Am nächsten Nachmittag hat Stave zum ersten Mal die Gelegenheit, sich ein paar Informationen zu beschaffen – und vermasselt die Sache beinahe.
    Eine Besprechung in seinem Büro. Er starrt auf die Eisblumen, die am Fenster glitzern wie kalte Sterne, während MacDonald die nächsten Fehlschläge verkündet. Der Lieutenant wedelt mit einigen gelben Blättern, auf die Namen, Geburtsdaten und Personenbeschreibungen getippt sind. Hunderte Namen, soweit Stave das erkennen kann.
    »Eine Kopie der Vermisstenliste in Hamburg«, erklärt der Brite. »Ich bin alle Namen durchgegangen – niemand da, der auf unsere beiden Leichen passen würde. Zwar stehen hier einige junge Frauen und einige ältere Männer, doch deren Personenbeschreibungen stimmen nicht mit dem überein, was wir gesehen haben. Und auch sonst kann ich kein Muster in den Listen erkennen: Männer, Frauen, Kinder, die weg sind. Verschwunden auf der Flucht aus dem Osten, in Bombennächten oder einfach so in der Nachkriegszeit. Mal wird das Verschwinden von Ehegatten oder Eltern angezeigt, mal von Nachbarn und Freunden, mal von der Firma oder Behörde, bei der jemand angestellt ist. Sollte einer dieser Vermissten mit Würgemalen am Hals unter irgendwelchen Trümmern liegen, dann wüsste ich nicht, wie wir das aus dieser Aufstellung erkennen könnten.« MacDonald faltet die Liste zusammen und steckt sie in eine Uniformtasche. Dann hebt er entschuldigend die Hände.
    »Mir geht es genauso«, sagt Maschke, und es klingt, als mache es ihn wütend, den Briten nicht

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