Trümmermörder
schlägt, kämpft sich voran. Der Händler mit den Lebensmittelkarten. Der Mann lässt sich treiben, seine Ware liegt wahrscheinlich schon irgendwo auf dem Pflaster. Gelassen lässt er sich drücken und schieben. Er ist jung, blass, millimeterkurzes, dunkles Haar, hässliche Narbe an der linken Wange, als hätte dort ein Blitz eingeschlagen.
Ehemaliger Soldat, denkt Stave. Muss vorsichtig sein.
Der Oberinspektor schiebt eine ältere Frau beiseite, dann endlich hat er zu dem Händler aufgeschlossen. Er zerrt seinen Ausweis aus der Manteltasche und hält ihn dem Dunkelhaarigen unter die Nase.
»Kriminalpolizei!«, schreit Stave.
Er will noch mehr hinausbrüllen, den üblichen Spruch zur Verhaftung – doch da landet eine Faust in seinem Gesicht. Schwarzer Schmerz und der salzige Geschmack von Blut. Verdammt schlechte Manieren, denkt Stave, als das Dröhnen im Kopf wieder nachlässt.
Der junge Mann wendet sich um, will davonstürzen. Doch überall versperrt ihm ein Wall aus Leibern den Weg. Rüde stößt er die ältere Frau zu Boden, die Stave schon beiseitegeschoben hat. Doch ein Fuß verhakt sich in ihrem Einkaufsnetz, für einen Moment taumelt er, springt herum, zerrt fluchend am Netz.
Da ist Stave heran, reißt ihm den Arm auf den Rücken, schleudert ihn so hart auf das eisige Pflaster, dass der Händler aufschreit. Das Knacken von zwei brechenden Rippen. Stave, noch immer mit Blutgeschmack im Mund, springt mit den Knien voran auf den Brustkasten des Liegenden. Wieder ein Knacken, doch der Dunkelhaarige schreit nicht mehr, sondern gurgelt nur noch.
»Guter Wurf!«, ruft jemand.
Stave wirbelt herum und erkennt den Kollegen von der Fahndung, der sich irgendwie zu ihm hindurchgekämpft hat.
»Judo«, antwortet er keuchend, erhebt sich und streicht den Mantel glatt. Eugen Hölzel, ein mittelgroßer Mann mit gelber Hornbrille, hatte sich vor einem Jahr bei der Hamburger Kripo vorgestellt. Mehrfacher deutscher Meister im Judo, wie sich herausstellte. Die Briten hatten ihm seinen Sport verboten – außer zur Ausbildung bei der Polizei. Stave hatte, ziemlich naiv, geglaubt, dass dieses Training ihm vielleicht helfen würde, sein Hinken zu überspielen. Ist Hölzels Tortur doch zu etwas nutze, denkt er nun zufrieden, als er beobachtet, wie zwei Schupos den Mann abführen, der nur noch gekrümmt gehen kann.
»Den will ich als Ersten verhören«, ruft er den Beamten nach.
Männer, Frauen, ein paar Kinder, zusammengetrieben an der Wand eines hohen, schmutzigen Mietshauses. Der Hansaplatz überzogen mit zertrampeltem dünnem Schnee, übersät mit Dosen, Kisten, aus der Ferne bizarr aussehenden Gegenständen und Papier, das im eisigen Wind aufwirbelt. Ein paar Schupos jagen Reichsmarkscheinen hinterher.
Ob die nachher alle abliefern werden, fragt sich Stave gelangweilt. Seine aufgeplatzte Lippe blutet inzwischen nicht mehr, aber sie ist angeschwollen. Hoffentlich werde ich bei den Verhören nicht lallen wie ein Betrunkener. Der Dunkelhaarige wandert mindestens für sechs Monate in den Bau. Oder man kann ihm die Sache mit den beiden Toten nachweisen. Dann wartet auf ihn das Schafott.
Die Schupos drängen die Verhafteten paarweise auf die Ladefläche von Lastwagen, die inzwischen über die Brennerstraße herangerollt sind. Ein, zwei Frauen weinen, einige Männer beschimpfen die Beamten, die meisten jedoch sind ruhig. Müde. Schicksalsergeben.
Stave muss plötzlich an andere Verhaftete denken, die die Polizei auf Lastwagen getrieben hat, am helllichten Tag, mitten in der Stadt. Ist nur wenige Jahre her. Hört das denn nie auf? Und wer sagt, dass sie diesmal gerechter sind als damals? Er zwingt sich, an die beiden Erwürgten zu denken und daran, dass deren Mörder vielleicht einer jener Menschen ist, die er gerade paarweise zusammentreiben lässt.
»Zurück zur Zentrale«, ruft er dem Fahnder zu. »Das wird eine lange Nacht. Ich wünschte, irgendjemand würde ein Pfund von dem Kaffee mitnehmen, der hier herumliegt, um uns allen eine ordentliche Tasse aufzubrühen.« Aber selbstverständlich vergreift sich niemand an der beschlagnahmten Ware, sind ja alles korrekte deutsche Beamte. Und ein paar britische Besatzungssoldaten stehen auch noch da.
In der Zentrale belegen Stave, Maschke und einige weitere Krimsches die Verhörzimmer. Die Schupos sollen ihnen die Verhafteten zuführen, wie sie sie gerade aus den überfüllten Untersuchungszellen herausgreifen.
»Bringt mir aber zuerst den Dunkelhaarigen«, wiederholt
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