Trümmermörder
zufrieden, denn ihm ist ein Großschieber ins Netz gegangen.
Maschke und die anderen hingegen blicken ihn müde und unzufrieden an. Der Einzige, der erwartungsvoll aussieht, ist MacDonald. Der Lieutenant hat weder bei der Razzia mitgemacht noch Verhaftete verhört.
Frage mich, warum er nicht längst nach Hause gegangen ist, denkt Stave. »Danke, meine Herren«, sagt er laut und nickt ihnen zum Abschied zu.
Kein sichergestellter Gegenstand, keine Aussage, die sie in den beiden Mordfällen weitergebracht hat. Nichts, nichts, nichts. Was haben wir bloß übersehen, fragt sich der Oberinspektor. Er wartet, bis alle gegangen sind. Dann arbeitet er am Schreibtisch noch einmal seine Notizen und Verhörprotokolle durch, Blatt für Blatt. Fast eine Stunde lang. Wenn es wenigstens Sommer wäre, dann würde es jetzt hell werden, denkt er. Seine Augen schmerzen. Nichts – bis auf den einen, möglicherweise bedeutsamen, vielleicht auch bloß lächerlichen Widerspruch in den Aussagen der Zeugin Anna von Veckinhausen.
Stave überlegt kurz, sich ein, zwei Stunden im Büro aufs Ohr zu hauen. Doch bei dem Gedanken daran, vielleicht zu fest einzuschlafen und dann auf dem Boden zusammengekrümmt von morgendlich frischen Kollegen gefunden zu werden, entscheidet er sich schließlich dagegen. Er durchmisst langsam den Eingang der Zentrale. Doch dann erstarrt er.
Ein Schatten.
Stave hält die Luft an und mustert einen wuchtigen Pfeiler der Vorhalle. An dessen dem Eingang abgewandter Seite hockt ein Mann. Stave sieht zunächst nur eine Schulter, ein Bein. Er rührt sich nicht. Der Unbekannte richtet sich langsam auf, hat ihn offenbar nicht bemerkt. Vielleicht ein Betrunkener, der ausgerechnet vor dem Hauptquartier der Kriminalpolizei seinen Rausch ausschläft? Der Mann taumelt einen Schritt vom Pfeiler fort, tritt hinaus auf den Platz, gelbes Mondlicht fällt auf sein Gesicht.
Stave erkennt einen jungen Mann, den sie vor wenigen Stunden verhaftet haben. Er fragt sich, wer ihn verhört und dann freigelassen hat. Dann erkennt er mehr: Der Mann ist nicht betrunken, er ist zusammengeschlagen worden. Zugeschwollenes Auge, aufgeplatzte Lippen, der gekrümmte Gang von jemandem, der Schläge und Tritte gegen Bauch und Unterleib einstecken musste. Ihm kommt sofort ein hässlicher Verdacht: Gestapo. Der Mann ist im Verhör durchgeprügelt worden. Anschließend wurde er laufengelassen, damit kein anderer Beamter und schon gar kein britischer Schnellrichter die Verletzungen sieht. Aber es hat ihn so schwer mitgenommen, dass er kaum die Zentrale verlassen konnte. Erst jetzt scheint er so weit zu Kräften gekommen zu sein, dass er davonwankt.
Stave folgt ihm unauffällig.
Der Unbekannte schleppt sich den Holstenwall hinunter, biegt am Millerntor rechts ab, erreicht schließlich das Gewirr kleiner Straßen nördlich der Reeperbahn. Ein halb zerstörtes Mietshaus, am Klingelschild Pappschilder mit den Namen und Geburtsdaten zusätzlich aufgenommener Ausgebombter. Der Mann hält inne, leicht gekrümmt, dann bückt er sich, kratzt ein wenig Schnee zusammen, wischt sich damit über das Gesicht. Er will sich präsentabel machen, bevor Mami ihn sieht, denkt Stave. Der junge Mann fummelt in der rechten Tasche seines viel zu weiten Mantels herum, die Hände taub von der Kälte und vielleicht auch von Schlägen. Als er endlich den Schlüssel hervorgezogen hat und sich zur Tür dreht, tritt Stave schnell vor.
»Kriminalpolizei«, flüstert er. Muss ja niemand die Nachbarn wecken.
Der Mann fährt herum, entsetztes Gesicht. »Was wollen Sie denn noch?«, stammelt er.
Keine zwanzig Jahre alt, schätzt Stave. Unterernährt. Ist in dieser Nacht vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben böse zusammengeschlagen worden. Andererseits: Wer weiß, was er im Krieg gemacht hat?
»Wer hat das getan?«, fragt Stave und deutet auf das geschwollene Auge. Er ist zu müde, um lange um den heißen Brei herumzureden. Außerdem hofft er auf die Angst des Unbekannten: klare Frage, klare Antwort.
»Ein Polizist«, sagt der Junge. »Beim Verhör.«
Stave schließt kurz die Augen und unterdrückt einen Fluch. »Wer?«
»Polizeiinspektor Maschke.«
Warum überrascht mich das jetzt nicht, denkt Stave zornig.
»Warum hat er das getan?«
Der junge Mann starrt ihn an, als hätte er etwas ganz Dämliches gefragt. »Hat Ihr Kollege wohl bei der Gestapo gelernt«, erwidert er schließlich.
Stave bietet dem Jungen eine Zigarette an. Noch ein paar Fragen, dann kann er sich die
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