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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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eisigen Atlantik. Wasserbomben, die das U-Boot dröhnend durchschütteln. Sinkende Särge. Die meisten U-Boot-Fahrer sind auf See geblieben. Auf einmal sieht er Maschke mit anderen Augen: dessen nervöse Sucht nach Zigaretten. Der Bart der U-Boot-Fahrer, die sich wochenlang nicht rasieren konnten. Die brutale Ungeduld gestern Abend beim Verhör. Der vorgespielte Zynismus. Das Wohnen bei der Mutter – gibt ja Sicherheit.
    Nachdem Maschke gegangen ist, ruft der Oberinspektor trotzdem einen alten Freund von der Personalabteilung an, der ihm noch einen Gefallen schuldet. Jetzt hat er konkrete Angaben von Maschke, die sich überprüfen lassen.
    Fünf Minuten später knallt er den Hörer auf die Gabel: Maschke, so viel ist klar, war vor 1945 tatsächlich niemals bei irgendeiner Dienststelle der Hamburger Polizei angestellt, schon gar nicht bei der Gestapo. Er hat sich nach dem Krieg bei der Kripo beworben und die Schule wie angegeben durchlaufen. Und, ja, in seinen Aufnahmeunterlagen finden sich Dokumente und ein Lebenslauf, die seine Geschichte von der U-Boot-Zeit in Frankreich bestätigen. Keine Gestapo-Vergangenheit, keine Dienstzeit bei einer Einsatzgruppe im Osten, keine verheimlichten Jahre als Wächter in irgendeinem KZ. Maschke ist sauber.
    Am Freitag bestellt ihn Doktor Ehrlich ein. »Bei der Razzia sind uns einige Fische ins Netz gegangen«, beginnt der Staatsanwalt höflich, setzt sich in seinen Stuhl und verschränkt die Hände vor dem Bauch.
    »Aber leider nicht die, die wir angeln wollten«, antwortet der Oberinspektor. Keine korrekte Metapher, aber das ist ihm gleichgültig. Lieber gleich zur Sache kommen.
    »Ich gestehe, dass ich ratlos bin«, sagt Ehrlich. »Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Stave, dann hätte ich genauso gehandelt. Und wüsste jetzt nicht, was ich noch tun sollte.«
    Das ist genau das, was ich hören will, denkt der Oberinspektor. »Wir verfolgen da noch ein paar Spuren«, antwortet er.
    »Freut mich zu hören. Ich dachte schon, Sie warten bis zum nächsten Mord und sehen dann, ob Sie was Neues finden.«
    »Wir wissen nicht einmal, ob die beiden Morde vom selben Täter begangen worden sind.«
    »Aber Sie vermuten es?«
    Stave schweigt.
    Ehrlich deutet mit müder Geste aus dem Fenster. Lange, feingliedrige Hände, denkt Stave, Pianistenhände.
    »Ich vermute, dass der Täter, den Sie suchen, dreißig Jahre alt ist, oder jünger«, sagt der Staatsanwalt.
    »Dann wissen Sie mehr als ich.«
    Ehrlich nimmt seine Hornbrille ab, putzt sie umständlich. Jetzt kann er mich wahrscheinlich gar nicht mehr erkennen, denkt Stave.
    »Ein Dreißigjähriger«, erklärt der Staatsanwalt, »wurde im Steckrübenwinter 1916/17 geboren, der großen Hungersnot im vorletzten Krieg. Dann kamen Revolution und Konterrevolution. Der Kapp-Putsch. Die Hyperinflation mit ihren Milliarden-Reichsmark-Scheinen in Wäschekörben. Die Arbeitslosigkeit ab 1929. Die Schlägereien und Morde zwischen SA und Rotfrontkämpferbund ab 1930. Die Nazis mit dem Terror. Der Krieg. Die Bombenangriffe. Die Konzentrationslager. Die Besatzungszeit. Nun dieser Winter. Das, was Sie und ich ›Normalität‹ nennen, existiert schon seit dreißig Jahren nicht mehr. Normal ist vielmehr die Gewalt. Das Leid. Der Tod. Deshalb denke ich, dass jemand, der mit offenbar methodischer Indifferenz sowohl ein junges Mädchen als auch einen alten Mann erdrosselt und ausplündert, jemand sein muss, der in seinem Leben nie etwas anderes kennengelernt hat als diese Gewalt. Also ist er dreißig Jahre alt oder jünger.«
    »Ich kann nicht alle jungen Menschen Hamburgs vorladen«, murmelt Stave. »Und nicht jeder Dreißigjährige ist ein Mörder.«
    »Wenn Sie Soldaten, Gestapo-Leute, Parteifunktionäre, KZ-Wächter und wichtige Beamte des alten Regimes zu dieser Gruppe rechnen, dann muss ich Ihnen widersprechen: Dann sind die meisten jüngeren Menschen schuldig.«
    »Und viele Ältere auch. Das hilft mir jetzt nicht weiter.«
    »Kennen Sie meinen Diensteid?«, fragt Ehrlich.
    Stave schüttelt den Kopf, verwirrt.
    »Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen, dass ich die Gesetze jederzeit zu niemandes Vorteil und zu niemandes Nachteil, mit Gerechtigkeit und Billigkeit gegenüber jedermann, ohne Rücksicht auf Religion, Rasse, Abstammung oder politische Überzeugung anwenden und handhaben werde; dass ich die deutschen Gesetze und alle Rechtsvorschriften der Militärregierung sowohl ihrem Wortlaute als auch ihrem Sinne nach befolgen werde; und dass ich stets mein

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