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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Karl Stave? Nie gehört.
    »Willst du dich ein bisschen wärmen?«
    Stave fährt erschrocken herum. Ein Mädchen, zwölf Jahre, schätzt Stave, wobei der ausgemergelte Körper täuschen kann, vielleicht ist sie auch schon vierzehn. Berliner Akzent. Bahnhofsnutte. Er schüttelt den Kopf, will sich schon wieder umdrehen, zögert dann, greift in die Tasche und reicht der Kleinen zwei Zigaretten.
    »Kannst du verschanzen«, murmelt er. »Erspart dir einen Freier.«
    Das Mädchen schnappt sich die Zigaretten. »Werd bloß nicht sentimental«, ruft sie und verschwindet.
    Gleis vier, der nächste Zug. Aus dem Ruhrgebiet, nicht aus dem Osten, aber Stave will nichts auslassen. Zwei ehemalige Soldaten an der Holztreppe, die vom Bahnsteig hochführt, vor ihnen zwei britische Militärpolizisten. Mit zitternden Händen ziehen die Kriegsgefangenen ihre Entlassungspapiere hervor. Stave wartet, bis die Kontrolle vorüber ist.
    Eine Hand an seinem Ärmel.
    Der Oberinspektor fährt herum, verärgert, erwartet, wieder das magere Mädchen zu sehen. Stattdessen steht Maschke vor ihm.
    »Endlich!«, keucht der Beamte von der Sitte, dann schüttelt ihn ein nikotingeladener Husten. »Ich suche Sie schon seit einer Stunde«, würgt er hervor.
    Stave schließt einen Moment lang die Augen. »Ein neuer Mord?«, fragt er müde.
    »Könnte sein.«
    »Was soll das heißen: Mord oder kein Mord?«
    »Mord. Aber ob es der Täter war, den wir suchen, ist nicht sicher.«
    »Warum?«, fragt Stave, wirft einen letzten Blick zurück auf die beiden entlassenen Kriegsgefangenen, bevor er Maschke folgt, der mit großen Schritten dem Ausgang zustrebt.
    »Wieder wurde ein Opfer mit einer dünnen Schlinge erwürgt. Aber«, sein Kollege zögert, »diesmal war es ein Kind.«
    Der Peterwagen parkt vor dem Deutschen Schauspielhaus, das jetzt »Garrison Theatre« heißt und für die Briten reserviert ist. Vorsichtig setzt Maschke zurück, blickt in den Rückspiegel, dreht sich um, schiebt den alten Mercedes Zentimeter für Zentimeter vom Straßenrand fort. Als er merkt, dass Stave nervös ist, lächelt er entschuldigend.
    »Ich habe Autofahren bei der Wehrmacht gelernt. Mit dem Kübelwagen auf Frankreichs Alleen. Der war übersichtlicher als dieses Schiff hier. Ich will keine Beule hineinfahren.«
    »Wir haben es ja nicht eilig«, antwortet Stave.
    Maschke hustet. »Wir fahren nach Hammerbrook«, erklärt er. »Es ist nicht weit: Billstraße.«
    Stave schließt die Augen. Also diesmal wieder im Osten. Wieder ein ehemaliges Kleine-Leute-Viertel, wieder zerbombt – so schwer zerstört wie kein anderer Stadtteil.
    »Da wohnt niemand mehr«, murmelt er.
    »Die Tote liegt im Fahrstuhlschacht einer ehemaligen Matratzenfabrik, Billstraße 103. Dort, wo die Bille in die Norderelbe mündet, am Ende des Hafens.«
    »Wer hat sie gefunden?«
    »Ein Schiffswächter, der am Billekanal entlangging. Wahrscheinlich war er auf der Suche nach Kohlen, hier findet man öfter Reste von Ladungen. Behauptet aber, er sei nur spazieren gegangen. Gegen 10.30 Uhr ging bei uns die Meldung ein.«
    »Haben Sie den Schiffswächter schon überprüft?«
    Maschke zuckt mit den Achseln. »Er sagt, dass er bis gestern bei seiner Mutter in Lübeck war. Wir überprüfen das. Wenn es stimmt, dann ist er nicht verdächtig. Wenn es nicht stimmt, dann hat er ein Problem.«
    Maschke steuert das schwere Auto vorsichtig über die fast leeren Straßen, umkurvt in weiten Bögen Trümmerberge, weicht entgegenkommenden britischen Jeeps bis zur Bordsteinkante aus, als seien es Panzer. Fünf Kilometer ungefähr sind es vom Hauptbahnhof bis zum Fundort in Hamerbrook, schätzt Stave. Zu Fuß wäre er schneller, als mit Maschke zu fahren. Aber immerhin quält ihn der eisige Wind so nicht.
    Vorbei an endlosen Reihen geschwärzter, fensterloser Fassaden, wie Kulissen in einem gigantischen, niedergebrannten Theater. Das stählerne Aquädukt der Hochbahn, Gleise und Brücken immer wieder zerhackt von Bombentreffern, eingestürzt, zu grotesken Skulpturen verbogen, im Flammenmeer zu kleinen, schwarzrot glänzenden Klumpen zerschmolzen.
    Der Mercedes rumpelt etwa einen Kilometer weit die Billstraße entlang, dann blockiert eine nach vorne gestürzte Hausfassade die Weiterfahrt. Maschke parkt umständlich neben den Trümmern, hinter einem britischen Jeep und dem Wagen der Spurensicherung.
    Als Stave aussteigt, tritt er beinahe auf ein schief zusammengenageltes Holzkreuz am Fuß des Ruinenberges. »Unserer Mutter Meta Krüger.

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