Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
Vom Netzwerk:
27./28.7.1943« steht darauf. Sie wird wohl immer noch unter den Trümmern liegen, denkt Stave. Schnell wendet er sich ab.
    Noch zweihundert Meter durch die Ruinen, zur Rechten glitzert das meterdicke Eis auf dem Billekanal. Irgendwo fängt ein geborstenes Ofenrohr den Wind ein und orgelt unheimlich in den Böen. Keine Spur von Leben, nicht einmal eine Ratte oder Krähe zu sehen. Doch nachdem er eine von Rissen durchzogene Wand umklettert hat, erblickt Stave Bewegung: Schupos, Gestalten in langen Mänteln und tief heruntergezogenen Hüten, britische Uniformen.
    »Dort ist es«, sagt Maschke überflüssigerweise.
    Stave nickt zur Begrüßung, MacDonald ist schon da, Doktor Czrisini, der Fotograf und Spurensicherer, auch die meisten Schupos und britischen Militärpolizisten kennt er vom Sehen. Stave beugt sich vor: ein Fahrstuhlschacht, vielleicht vier mal drei Meter, gemauert, der Boden etwa anderthalb Meter unter dem Niveau der Trümmer, öligschwarz von altem Schmierfett. Ein Mädchen liegt mit dem Rücken auf dem schmutzigen Boden, nackt, mittelblonde Haare, Bubikopf, graubraune, ins Leere starrende Augen.
    »Dünne Würgemale am Hals«, flüstert Doktor Czrisini, »am rechten Unterarm eine etwa zwei Zentimeter lange, längst verheilte Narbe. Vollständige Zähne, befriedigender Ernährungszustand. Etwa 1,10 Meter groß. Sechs bis acht Jahre, schätze ich.«
    »Todeszeitpunkt?«, murmelt Stave und versucht die Fassung zu bewahren.
    »Nach der Obduktion werde ich es genauer wissen, aber sie ist mindestens schon seit zwölf Stunden tot. Vielleicht liegt sie auch schon länger hier, bei der Kälte.«
    »Bei der Kälte, ja«, murmelt Stave. »Anzeichen für Missbrauch? Für andere Gewaltanwendungen?«
    »Soweit man sehen kann: nein. Aber auch das wissen wir bald genauer.«
    »Und sonst wie immer, keine Besonderheiten?«
    Der Fotograf und Spurensicherer tritt hinzu und hält etwas in einem Taschentuch. »Das haben wir neben der Toten gefunden. Mag sein, dass es ihr gehört hat, kann aber auch sein, dass es nur zufällig dort liegt.«
    Der Oberinspektor schüttelt den Kopf. Eine rote Kordelschnur, vielleicht einen halben Finger lang. »Was ist das?«
    »Sie haben keine Tochter«, erklärt der Fotograf und erlaubt sich ein schwaches Lächeln. »Diese Kordelschnur könnte von einem Spencer kommen, einer Art kurzer Trachtenjacke. Würde zu einem Mädchen dieses Alters passen.«
    Stave winkt einen Schupo heran. »Gehen Sie zur nächsten Wache und kontaktieren Sie den Leiter vom Chefamt S. Er muss zivile Fahnder auf sämtliche Schwarzmärkte dieser Stadt schicken, sofort. Sie sollen jeden verhaften, der eine Mädchentrachtenjacke mit roten Kordeln verkauft.«
    Der Beamte salutiert und stolpert über die Trümmer davon.
    Stave blickt sich um. »Das Mädchen kann nicht hier gelebt haben. Die nächsten halbwegs bewohnbaren Häuser sind Hunderte Meter entfernt.«
    »Der Mörder hat sie also hierhingebracht«, ergänzt Maschke.
    »Oder die Kleine hat hier Kohlen gesammelt und ist dabei ihrem Mörder begegnet«, wirft MacDonald ein. »Sie scheint nicht das einzige Kind gewesen zu sein, das hier herumstromert.«
    Als ihn die beiden Kripobeamten fragend anblicken, erklärt er: »Als die ersten Polizisten nach der Meldung des Schiffswächters eintrafen, griffen sie einen Jungen auf, der behauptet, Kohle gesucht zu haben. Keine Ahnung, ob er die Tote gesehen hat.«
    Stave nickt. »Gut. Dann stellen wir dem Schiffswächter die üblichen Fragen. Und danach unterhalten wir uns mit dem Jungen.«
    Der Schiffswächter heißt Walter Dreimann, ist dreiundfünfzig Jahre alt, mager und trägt einen Gesichtsausdruck, als hätte er Magengeschwüre. Oder vielleicht hat er den Anblick des toten Mädchens immer noch nicht verdaut, denkt Stave.
    »Sie haben Kohlen gesammelt?«, fragt der Oberinspektor.
    »Ich bin spazieren gegangen«, erwidert Dreimann, halb weinerlich, halb beleidigt.
    »Tun Sie das oft?«
    »Jeden Tag. Außer den letzten zwei Wochen, da besuchte ich meine Mutter in Lübeck. Aber das habe ich Ihrem Kollegen schon gesagt.«
    »Aber vor dem Besuch Ihrer Mutter gingen Sie auch jeden Tag hier spazieren?«, fragt Stave und blättert in seinem Notizbuch.
    Dreimann nickt.
    »Und Sie waren auch genau hier, auf diesem Trümmergrundstück?«
    Der Schiffswächter antwortet, ohne lange nachzudenken. »Das ist meine übliche Runde.«
    »Wann waren Sie zuletzt hier – vor dem Besuch in Lübeck?«
    »Muss der 18. oder 19. Januar gewesen

Weitere Kostenlose Bücher