Trümmermörder
sein.«
»Und an jenem Tag war der Fahrstuhlschacht noch leer?«
»Aber selbstverständlich!« Dreimann blickt ihn empört an. »Oder denken Sie, ich hätte nichts gesagt, wenn ich damals schon ein totes Mädchen gesehen hätte?«
»Kannten Sie das Mädchen?«
»Nein.«
»Sind Sie sich absolut sicher? Wollen Sie das Opfer noch einmal ansehen?«
Dreimanns Gesichtsfarbe wird tatsächlich grün. »Ich habe genau genug hingesehen.«
Stave zwingt sich zu einem verbindlichen Lächeln. »Sie können gehen.«
Der Oberinspektor blickt über die verwüstete Landschaft. Der Fotograf packt seine Ausrüstung zusammen. Zwei Träger in dunklen Mänteln heben den schmalen, steifgefrorenen Körper aus dem Schacht und legen ihn auf eine Bahre. Wie im Krieg, denkt Stave, als sie in den Wochen nach jedem Bombenangriff kleine Körper aus Ruinen zogen. Aber jetzt herrscht Frieden, verdammt.
Er erstarrt. Etwas blitzt auf dem öligen Boden des Fahrstuhlschachts, etwas, das erst durch die Schuhe der Leichenträger aus dem Schlamm hoch gedrückt worden sein muss. Etwas Silbernes.
»Bergen Sie das!«, ruft er dem Spurensicherer zu und deutet auf den Gegenstand.
Eine Minute später hält der Oberinspektor ein ölverschmiertes Medaillon in den Händen. Groschengroß. Die Kette fehlt. Die Rückseite ist matt und unverziert. Und auf der Vorderseite prangen ein Kreuz und zwei Dolche.
»Unser Mörder macht Fehler«, sagt Stave.
»Medaillons werden am Hals getragen«, murmelt MacDonald. »Wahrscheinlich sind sie bei den letzten beiden Taten abgerissen, noch während der Mörder die Schlinge zuzog. Er hat seine Opfer ausgeplündert, aber die kleinen Silberplatten hat er übersehen.«
»Oder er hat sie dorthin gelegt«, vermutet Maschke. »Als eine Art Visitenkarte.«
»Ein Wahnsinniger, der uns Rätsel aufgibt?« Stave fährt sich mit der Rechten durch das Gesicht. Er ist müde. Er mag an diese Theorie nicht glauben, allein schon deshalb, weil er sich nicht vorstellen kann, in die Gedankengänge eines Geistesgestörten einzudringen, seine nächsten Schritte vorherzusagen. Sei nicht unprofessionell, ermahnt er sich. »Warum haben wir dann bei der jungen Frau kein Medaillon gefunden?«
»Vielleicht entwickelt der Täter erst nach und nach seinen Stil«, antwortet Maschke. »Oder er hat schon beim ersten Mord ein Medaillon dagelassen und wir waren nur zu blöd, es zu finden.«
Schon wieder ein Vorwurf, denkt Stave. Wenn du so weitermachst, dann lasse ich dich zum Streifendienst versetzen – und wenn es das Letzte ist, was ich hier tue.
»Mir erscheint MacDonalds Hypothese trotzdem wahrscheinlicher«, verkündet er. »Dann gehören zumindest der Alte und das Kind zusammen. Sie trugen das gleiche Medaillon. Vielleicht eine Familie?«
»Und die junge Frau?«, wirft Czrisini ein.
»Vielleicht trug sie auch ein Medaillon. Nur, dass es in diesem Fall der Mörder entdeckt und mitgenommen hat – oder wir waren tatsächlich zu blöd, es zu finden. Ich schicke noch mal jemanden zur Baustraße, damit er sich in den Trümmern umsieht.«
»Wenn die Medaillons beim Angriff abgerissen worden sind«, nimmt MacDonald seinen Gedanken wieder auf, »dann bedeuten die Funde, dass die Opfer jeweils an dem Ort ermordet worden sind, an dem wir sie entdeckt haben. Sonst wären die Schmuckstücke nicht hier.«
»Aber wenn das ein Zeichen des Täters ist, dann bedeutet das gar nichts«, erwidert Maschke. »Dann könnte er seine Opfer überall erwürgt haben. Nach dem Verbrechen sucht er sich einfach ein passendes Versteck in den Ruinen und legt die Leichen mit seinem speziellen Gruß ab.«
»Er legt kein Opfer am gleichen Platz ab, sondern sucht sich jedes Mal ein neues Trümmergrundstück«, ergänzt Stave seufzend. »Sie waren doch beim Aufräumamt: Wie viele Ruinen gibt es, die sich unser Mörder als potenzielle Ablageplätze aussuchen könnte?«
Der Mann von der Sitte zuckt die Achseln. »Hunderte? Tausende? Wir können ein paar Feine-Leute-Viertel wie Blankenese ausschließen: zu wenige Zerstörungen. Außerdem ein paar Regionen wie etwa am Hafen: viele Ruinen, aber Sperrgebiete der Briten, in die sich niemand hineinwagen kann, ohne aufzufallen. Aber ansonsten: freie Auswahl in einem der größten Trümmerfelder Europas!«
»Vielleicht will der Mörder, dass wir seine Opfer finden«, wirft MacDonald ein. »Vielleicht ist das so etwas wie eine Herausforderung an uns? Eine Provokation?«
Stave hebt abwehrend die Hand. »Keine voreiligen Schlüsse.
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