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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Ziehen im Bein zu ignorieren.
    Ganz langsam wird es hell. Schließlich erhebt er sich. Wenn er schlendert, müsste er nicht vor acht Uhr dort sein – und um diese Zeit schläft niemand mehr, bei der Kälte.
    Marienthal ist eine Insel der Seligen, ein Villenviertel im Hamburger Osten, nur ein paar hundert Schritte von seinem Mietshaus entfernt. Die Alliierten haben Marienthal nie angegriffen. Höchstens Irrläufer schlugen dort ein.
    Stave wandert die Ahrensburger Straße entlang Richtung Zentrum. Graues Licht. Die Fußgänger weichen einander aus. Niemand blickt den anderen an. Niemand geht mehr in der Nähe einer Ruine entlang, obwohl die Trümmer manchmal vor dem eisigen Wind schützen würden.
    An einer Litfaßsäule bleibt er stehen und studiert das neueste Werk der Kripo: Ein Fahndungsplakat, angeklebt irgendwann an diesem Morgen. »5000 RM Belohnung!« Und die Fotos der drei Toten. »Ein Mörder geht um«, steht darunter, »eine Bestie in Menschengestalt.« Dann folgen detaillierte Beschreibungen von Fundorten und Opfern. »Werden die ermordeten Personen nirgends vermisst? Können Menschen in dieser Stadt untergehen, ohne dass sich einer ihrer Angehörigen, Freunde oder Bekannten darum kümmert?« Das habe ich wirklich geschrieben, denkt Stave verwundert. Muss müde gewesen sein.
    Ein winziger Park am linken Straßenrand, kaum größer als ein Grundstück. Pflastersteine, bis auf den Stumpf niedergehackte Bäume und Büsche, die Skelette zweier Bänke, deren Bretter jemand abgerissen hat.
    Stave biegt in die Eichtalstraße. Stadtvillen zu beiden Seiten, zwei Geschosse, Dach, Giebel zur Straße, jedes Haus ist anders: rot verklinkert, weiß oder gelb verputzt, efeuumrankt. Kastanien und Rotbuchen am Pflasterrand, teils verstümmelt, teils noch stehend. Seine Schritte klingen laut auf dem Pflaster. Fünfhundert Meter weiter verbrannte Margarethe, und hier sieht es aus wie immer, denkt Stave.
    Ein kleiner, ungepflegter Vorgarten unter einer schmutzigen Raureifdecke. Dahinter eine Villa, Dreckschlieren auf weißem Putz, ein schiefer Fensterladen, sonst noch gut erhalten. Eine dünne, schwarzgraue Rauchfahne, die aus dem Schornstein quillt, der bittere und doch so angenehme Geruch glühender Kohlen. Plötzlich hat es Stave eilig, ins Haus zu kommen.
    Die Klingel bleibt stumm, also klopft er. Es dauert eine Weile, dann wird die Tür geöffnet. Eine Welle warmer Luft schwappt aus dem Innern nach draußen, lässt den Oberinspektor unwillkürlich zittern. Eine etwa fünfzigjährige Frau, graue Strähnen im langen, dunkelbraunen Haar, weiches Gesicht, rehbraune Augen, eleganter, etwas verschlissener Hausmantel.
    Stave zeigt seinen Ausweis, stellt sich vor.
    Frau Hellinger zögert kurz, lächelt dann schüchtern, lädt ihn ein, hineinzukommen. Parkettböden, Biedermeierkommoden; an den tapezierten Wänden helle Quadrate, wo noch bis vor kurzem Bilder hingen. Stave ahnt, womit die Hellingers ihre Kohlen bezahlen. Seine Gastgeberin führt ihn zur Rückseite des Hauses in eine Art Erker über dem tiefer liegenden, stillen Garten. Sie bietet ihm einen Korbstuhl an.
    »Eine Tasse Tee?«, fragt sie, und der Oberinspektor nickt dankbar.
    »Ich hatte nicht mit einem Besuch der Polizei gerechnet«, fährt sie fort.
    Stave lächelt dünn. »Warum?«
    »Ich habe meinen Mann auf der nächsten Wache als vermisst gemeldet. Dort hat ein Beamter meine Angaben auf ein Formular eingetragen. Das war dann auch alles, so hatte ich den Eindruck.«
    »Und deshalb haben Sie sich an den Suchdienst gewandt?«
    Sie nickt und nippt vorsichtig an ihrem Tee. Ihre Hände zittern leicht.
    »Erzählen Sie mir etwas über Ihren Mann.« Stave kramt umständlich sein Notizheft hervor.
    »Er ist hauptberuflicher Bastler und Tüftler«, antwortet Frau Hellinger und lächelt wieder schüchtern. »Schon als junger Mann hat er seine eigene Firma gegründet. Nichts Großes, aber grundsolide. Ein Unternehmen, das Spezialgeräte herstellt.«
    »Welche Geräte?«
    »Vorhalterechner, vor allem für U-Boote.«
    Als Stave sie verständnislos anblickt, hebt sie entschuldigend eine Hand. »Es war seine Erfindung. Soweit ich es verstanden habe, müssen U-Boot-Kapitäne komplizierte Berechnungen durchführen, bevor sie einen Torpedo abschießen. Sie müssen ihren Kurs und den des attackierten Schiffes kalkulieren, die Geschwindigkeiten der Schiffe, die Geschwindigkeit des Torpedos, Strömungen, was weiß ich noch. Mein Mann hat Rechenmaschinen entwickelt, die sie dabei

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