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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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mögliche Spuren zu verwischen? Das wäre unklug, aber manche Mörder handeln so. Er hat nicht genug Männer, um alle drei Fundorte ständig überwachen zu lassen – aber genug vielleicht für einen.
    »Im Trümmerfeld neben der Lappenbergsallee. Dort, wo der alte Mann lag.«
    Kleensch atmet tief durch, denkt nach. »Wer ist diese geheimnisvolle Zeugin?«
    »Darüber kann ich leider keine Angaben machen.«
    »Verstehe.« Wieder Stille, nur unterbrochen durch das Knacken in der Leitung.
    Ob jemand mithört?, denkt Stave plötzlich. Dann rafft er sich auf. Unsinn.
    »Ich kann Ihnen momentan nicht mehr mitteilen«, sagt er.
    »Halten Sie mich weiter auf dem Laufenden?«
    »Ja.«
    Stave legt auf. Mal sehen, was passiert, denkt er. Dann blickt er zur geschlossenen Tür des Vorzimmers und ruft Anna von Veckinhausen herein. Seine einzige Zeugin. Sein Köder.
    Sie liest sein Protokoll aufmerksam durch, verzieht ein-, zweimal die Mundwinkel.
    »Ein Dichter sind Sie nicht, aber recht ordentliche Prosa für einen Beamten.«
    »Ganz die Meinung der Staatsanwaltschaft«, brummt Stave. »Erkennen Sie sich trotzdem wieder?«
    Ihre Antwort ist eine Unterschrift, die sie in schwungvollen Lettern unter die Zeilen setzt und datiert.
    »Kann ich gehen?«, fragt sie.
    »Darf ich Sie begleiten?«
    Stave ist selbst davon überrascht, was er da sagt. Es ist ihm herausgerutscht.
    Anna von Veckinhausen blickt ihn erstaunt an.
    »Ich habe den gleichen Weg wie Sie«, setzt er rasch hinzu, »muss nur noch etwas weiter hinausfahren. Wandsbek.«
    Sie lächelt für eine Sekunde. »Wenn wir uns beeilen, erreichen wir noch die letzte Straßenbahn«, antwortet sie.
    Stave springt auf, greift sich Mantel und Hut, hält ihr die Tür auf. Erna Berg blickt ihn verwirrt an.
    »Schicken Sie mir einen Beamten vorbei, wenn etwas Wichtiges ist«, ordnet er an.
    Keine weitere Erklärung, er fühlt sich plötzlich beschwingt wie seit Jahren nicht mehr – auch wenn ihn eine innere Stimme mahnt, er sei ein Dummkopf und sehe auch aus wie einer.
    Vor dem Gebäude fallen beide in einen Laufschritt. Sie müssen den Rathausplatz rechtzeitig erreichen, von wo aus die Straßenbahnen abgehen. Nur für wenige Stunden jeweils vor- und nachmittags, um Strom zu sparen. Beide stemmen sich gegen den Wind, sie mit Tuch und Schal um den Kopf, er versunken unter Hut und hochgeschlagenem Mantelkragen. Keine Zeit, viele Worte zu wechseln. Stave ist das ganz recht: Er hat genug damit zu tun, sich auf das Gehen zu konzentrieren und sein Hinken so gut wie möglich zu verstecken.
    Verlieb dich nicht, ermahnt er sich, mach dich nicht zum Narren. Sie ist deine einzige Zeugin. Ein ahnungsloser Köder für einen skrupellosen Mörder, ein Köder, den du selbst ausgelegt hast. Oder vielleicht sogar die Mörderin, wer kann das schon ausschließen? Du weißt fast nichts über sie, nicht einmal, ob sie verheiratet ist. Vielleicht warten in der Nissenhütte Mann und Kinder auf sie. Überhaupt Kinder: Was würde Karl denken, wenn er denn je zurückkehrt? Seine Heimat in Trümmern, die Mutter tot – und der Vater, den er schon vor dem Krieg verachtet hat, lebt mit einer neuen Frau zusammen? Undenkbar.
    Sie hasten über den zugigen Rathausplatz. Ihre Wangen sind gerötet von der Kälte und der Anstrengung des Laufschritts. Wie reizend, denkt Stave, blickt dann schnell zu Boden.
    Vor dem Rathaus kreuzen sich die drei Straßenbahnlinien, deren Schienen bereits wieder repariert und vom Schutt befreit worden sind. Verbeulte Waggons, Gedränge, Geschiebe. Händler, die zusammen mit hünenhaften Helfern zentnerschwere Paletten mit Kohl und Kartoffeln hineinhieven. Müde Postboten, die Pakete verladen. Wenigstens kein Müll, denkt Stave. Vormittags wird Unrat zu den Kippen vor der Stadt gekarrt. Wie sonst soll man ihn loswerden?
    Zwischen Paketen und Kisten drängen sich Menschen: Schwarzhändler, die Angestellten in den Büros und Läden, die alle abends zur gleichen Zeit wegen der Stromsperre schließen. Ungeschickt versucht Stave, Anna von Veckinhausen eine Gasse zu bahnen, ihr die Stufe hoch in den Waggon zu helfen.
    Sie macht das alleine besser als er, fährt offenbar häufiger. Enge im Waggon: der Gestank von nassen Mänteln, zu lange getragenen Schuhen, Schweiß, schlechter Atem, mieser Tabak.
    Nachrücker schieben Stave und Anna von Veckinhausen bis zum Fenster gegenüber der Tür. Der Oberinspektor stemmt sich dagegen, stößt mit den Ellbogen nach hinten, ohne sich umzublicken, resigniert

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