Trümmermörder
so aus, als sei der Fundort zugleich der Tatort.«
Breuer nickt schweigend dazu, greift dann in seinen weiten Mantel, zieht eine wuchtige Taschenlampe hervor und geht wortlos in den Keller. Allein.
Der traut mir nicht mehr, denkt Stave.
Nach einigen Minuten ist Breuer wieder oben. »Einen verflixt schwierigen Fall haben Sie da an der Backe, Stave. Kommen Sie bei mir vorbei, wenn Sie hier fertig sind.« Dann dreht er sich grußlos um und geht.
Zumindest hast du auch nicht mehr gefunden als ich, sagt sich Stave grimmig.
Als der Kripochef um eine doppelt mannshohe Mauer biegt, wäre er fast mit einer Gestalt zusammengestoßen, die stolpernd durch die Ruinen hastet: Kleensch von der Zeit .
»Mir bleibt heute auch nichts erspart«, murmelt der Oberinspektor. Eine Sekunde lang zögert er. Soll er den Reporter ignorieren? Abwimmeln? Er würde nur überall herumschnüffeln, Fragen stellen, Unruhe verbreiten. Besser, man nimmt die Sache selbst in die Hand. Stave geht auf Kleensch zu, schüttelt ihm die Hand, führt ihn zum Keller.
»Ein neues Opfer des Trümmermörders«, stellt der Journalist fest, als er im gelblichen Licht der Taschenlampe die Tote betrachtet. Nüchtern.
Der denkt bereits an seinen Artikel, fährt es Stave durch den Kopf. Er erzählt Kleensch von allem, was sie entdeckt haben, und weist ihn besonders auf die Zeichen hin, die darauf deuten, dass die Tote wohlhabend gewesen sein muss.
»Jetzt werden tote Reiche genauso wenig vermisst wie tote Arme. Das ist Demokratie«, kommentiert Kleensch.
»Das wollen Sie doch nicht schreiben?«
Er lächelt. »Das würde mein Verleger ungern lesen. Und die Briten wären auch nicht froh darüber. Ich möchte meine Stelle behalten. Zigarette?«
»Bitte rauchen Sie nicht am Fundort«, antwortet der Oberinspektor, schüttelt zugleich dankend den Kopf und weist mit der Rechten zum Kellerausgang.
»Niemand will das gerne lesen«, unternimmt Stave draußen einen halbherzigen Versuch, den Artikel zu verhindern.
Kleensch blickt ihn nachsichtig an. »Da irren Sie sich. Geschichten von Morden will jeder gerne lesen. Gruselige Geschichten. Bloß die Moral von der Geschichte will keiner hören. Also spare ich mir diesen Teil und habe dafür mehr Platz für die Details. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Stave nickt resigniert. »Sie machen Ihre Arbeit, ich meine.«
»Die Leute werden Angst bekommen, auch wenn ich Ihnen verspreche, mich zurückzuhalten. Aber so ist das: Der Trümmermörder wird zum personifizierten Bösen, zum Schreckensmann. Endlich hat diese fürchterliche Kältezeit ein Gesicht – wenn auch ein ziemlich unkenntliches. Könnte jeder sein: Jede Gestalt auf der Straße hinter mir, jeder Schatten in den Trümmern, jeder schweigsame neue Nachbar. Die Leute werden sich gegenseitig verdächtigen. Wird schlimmer mit den Denunziationen werden als zur Hitlerzeit. Da kann man aber nichts machen. Man wird Ihnen die Hölle heiß machen, tut mir leid. Aber irgendwann schnappen Sie den Kerl, der das verbrochen hat. Und dann sind Sie ein Held.«
»Besten Dank für Ihren Optimismus.«
»Der hilft einem sehr. Vor allem im Angesicht des Todes.« Kleensch lüpft zum Abschied seinen Hut und stolpert davon.
Wenigstens hat er mit niemand anderem geredet, denkt Stave. Wäre unangenehm geworden, wenn er Breuer mit seinen Fragen lästig geworden wäre – dann hätte er das nachher ausbaden müssen.
Später fährt Stave im Mercedes zurück. Allein, denn Maschke hat unter dem fadenscheinigsten aller Vorwände – er wolle etwas für seine Gesundheit tun und zu Fuß gehen – dankend abgelehnt, zu ihm einzusteigen.
Auf dem Jungfernstieg tritt der Oberinspektor plötzlich auf die Bremse. Knirschend kommt der Wagen nach ein paar Metern zum Stehen. Das ist die Gelegenheit, denkt Stave.
Schon seit einigen Tagen hat er, ratlos wie noch nie zuvor, daran gedacht, einen Psychologen zu dem Fall zu befragen. Hat sich auch schon unauffällig nach guten Seelendoktoren in Hamburg umgehört. Doch er hat die Sache aufgeschoben. Teils aus Scheu, weil keiner der Beamten des Morddezernats viel von Psychologen hält. Teils aus Scham, weil er mit so einem Gang den Kollegen seine Ratlosigkeit eingestehen würde: eine Verzweiflungstat, der Stave geht schon zum Nervenarzt. Und, wer weiß, vielleicht kann er sich ja gleich selbst auf die Couch legen?
Niemals.
Zufällig aber ist er nun allein. Und zufällig hat Hamburgs bekanntester Psychologe seine Praxis am Jungfernstieg: Professor
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