Trümmermörder
brüchigen Stufen hinabgestiegen ist. Halbdunkel. Er zückt sein Notizbuch und beschreibt das Äußere des Fundortes. Der Schupo hantiert mit einer alten Taschenlampe herum, bis sie einen müden, gelben Lichtstrahl wirft. Am Aufgang der Treppe erscheinen weitere Personen. Stave sieht nur schmutzige Schuhe und den Saum langer Mäntel. Er starrt wieder nach vorne in die dunkle Höhle.
Ein Raum: Zementboden, ein paar hinabgestürzte Ziegel, Reste von abgesprungenem Wandputz, Steinstaub. Dahinter ein zweiter Raum, so düster, dass kein Licht mehr vom Treppenschacht dorthin dringt. Steinstaub auch dort, keine Trümmerstücke, keine Einrichtung.
Nur eine Tote.
Fünfunddreißig Jahre, schätzt Stave, vielleicht ein wenig jünger. Die Frau liegt nackt auf dem Boden. Festgefroren am Zement. Rötlich-bläuliche Totenflecken überall. Mund leicht geöffnet, Augen einen Spalt weit offen, rechte Hand am Boden, linke auf dem Bauchnabel, alle Finger leicht gekrümmt. Stave nimmt dem Schupo wortlos die Lampe ab und leuchtet direkt auf das Opfer. Der junge Polizist sieht aus, als würde er sich gleich übergeben.
»Sie können draußen warten«, gestattet ihm der Oberinspektor.
Doktor Czrisini nimmt eine wuchtige Taschenlampe aus seinem Arztkoffer, deren Licht heller ist. Mit behandschuhter Hand betastet er ihr Gesicht. »Schmal, länglich, trotzdem gut genährt«, murmelt er. »Braunschwarz gefärbte Wimpern, ausgedünnte Augenbrauen. Das da auf ihren Wangen könnten Reste von Gesichtspuder sein. Mittelblondes Haar, offenbar gebleicht. Öffnungen für Ohrgehänge in den Ohrläppchen. Links kein Schmuck sichtbar. Rechts«, er zögert, tastet am Hinterkopf herum, zieht etwas aus den Haaren und hält es in den Lichtstrahl der Taschenlampe. »Rechtes Ohrgehänge gelöst, doch im Hinterhaupthaar verfangen.« Der Pathologe reicht das Schmuckstück an Stave weiter.
Der Oberinspektor betrachtet es aufmerksam: ein kleiner goldener Anhänger mit einer Perle. »Außergewöhnliche Form«, murmelt er. Das Gold ist zu einem winzigen Seestern geformt, der die Perle umschließt.
»Dazu kann ich nichts sagen«, erwidert Czrisini, »Schmuck ist nicht mein Spezialgebiet.«
Der Pathologe zieht die Lider höher. »Blaugraue Augen.« Dann drückt er den Kiefer auf, leuchtet in ihren Mund. »Im Oberkiefer Palette mit zwei Zahnprothesen: Innerer rechter Schneidezahn, erster rechter Backenzahn. Im Unterkiefer rechts zwei vergoldete Backenzähne.«
Vom Kopf an untersucht er sie sorgfältig weiter abwärts. »Festgefroren. Totenstarre nicht feststellbar, Todesdatum zunächst unbekannt. Drosselungsmarke am Hals, vorne und links braunrot, zwei Zentimeter breit. Rechts und hinten nur fünf Millimeter. Fesselungsmarken an beiden Handgelenken, drei bis fünf Millimeter. Auffällig gepflegte Fingernägel, hellrötlich lackiert und poliert, die überstehenden Teile mit Nagelweiß lackiert. Helle Stelle am linken Handgelenk und am linken Ringfinger. Vermutlich Spuren von Armbanduhr und Ring. Lange Operationsnarbe, etwa vierzehn Zentimeter, vom Bauchnabel bis zum Schamberg, wahrscheinlich Unterleibsoperation; gut verheilt, vernarbt.«
»Keine Schleifspuren im Staub auf dem Kellerboden«, ergänzt Stave. »Kein Schmutz am Körper. Unwahrscheinlich, dass sie hier umgebracht worden ist.«
»Sie wurde anderswo getötet und post mortem hierhergebracht«, sagt Maschke. »Um die Leiche zu verstecken.«
»Und vielleicht auch, um sie in aller Ruhe auszuziehen und auszuplündern«, ergänzt der Oberinspektor. »Allerdings muss der Täter das Opfer die wackeligen Stufen hinunter und bis hierhin getragen haben, mit einer Lampe in der Hand.«
»Ein kräftiger Mann«, sagt der Pathologe.
»Ob er das von vornherein geplant hat?«, wirft Maschke ein. »Ob er diesen Keller schon kannte und sich vor der Tat dazu entschlossen hatte, sein Opfer hier zu verstecken? Oder hat er nach dem Mord das nächste Versteck gesucht und ist zufällig hier hineingeraten?«
»Er muss eine Lampe dabeigehabt haben.« Stave kratzt sich am Kopf. »Das spricht für einen Plan. Oder vielleicht hat er immer eine Lampe dabei. Oder er kennt sich so gut aus, dass er diesen Keller sogar im Dunkeln betritt.«
»Ich frage mich, woher die Frau stammt«, flüstert der Pathologe versonnen.
»Sie war sicherlich wohlhabend, vielleicht reich«, räsoniert Stave. »Goldzähne. Ohrgehänge, Armbanduhr, Ring, Nagellack. Kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt eine Frau mit manikürten Fingern gesehen
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