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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Walter Bürger-Prinz.
    Stave tritt auf die fast unbeschädigte Prachtstraße, die zur Rechten in mehreren Stufen bis zur glitzernden Eisfläche der Alster abfällt. Zur Linken ragen die wuchtigen, säulengeschmückten Fassaden repräsentativer Gebäude auf, die unverwüstet durch alle Bombenhagel gekommen sind. Wieder überkommt den Oberinspektor für einen Moment der Drang, seine Wut über diese Ungerechtigkeit hinauszuschreien. Warum bleibt all diese Pracht verschont, dieser Reichtum, der doch so oft auf Gier und Menschenverachtung gegründet ist?
    Stave nimmt sich zusammen. Was kann ein Psychologe dafür, dass die Briten lieber Arbeiterviertel ausgelöscht haben als Prachtboulevards?
    Er hat die Hausnummer der Praxis nicht im Kopf, doch als er langsam die Fassadenreihe abschreitet, entdeckt er ein großes Messingschild mit dem Namen des Professors neben einem Eingang. Fünfter Stock. Der Oberinspektor drückt eine drei Meter hohe Tür auf: Treppenstufen aus hellem Marmor, schmiedeeisernes Geländer – aber keine Glühbirne mehr in den Lampenfassungen des Lüsters, wie er befriedigt bemerkt. Ein altertümlicher Fahrstuhlkorb in der Mitte des Treppenhauses, doch der wird mangels Strom nicht funktionieren. Er macht sich langsam an den langen Aufstieg.
    Als er endlich das Vorzimmer der Praxis betritt, sinkt er bis zum Knöchel in einen weichen Teppich ein, blickt auf englische Clubsessel, einen Schreibtisch und einen Aktenschrank aus Teak, atmet den gediegenen Duft von Earl-Grey-Tee und Möbelpolitur ein. Stave, in seinen ausgelatschten Schuhen, dem zerknitterten Anzug und dem zerschlissenen Mantel, fühlt sich schäbig. Hinter dem Schreibtisch thront eine Empfangsdame: über fünfzig, streng zurückgekämmtes, graues Haar, Nickelbrille.
    »Sie wünschen?«
    Es klingt, als habe sie gesagt: »Betteln und Hausieren verboten.«
    Stave wollte höflich fragen, ob der Herr Professor ihn vielleicht empfange möge, nur für wenige Minuten. Doch die einschüchternde Wand der Prunkfassaden, das endlose marmorne Treppenhaus, das schwere Aroma in der Luft und nun noch diese kalte Verachtung sägen an den Ketten seiner Selbstbeherrschung, bis sie nicht mehr halten. Wütend marschiert er bis zum Tisch, zückt seinen Ausweis und hält ihn der eisernen Dame vor die Nase.
    »Stave, Kriminalpolizei. Ich will Professor Bürger-Prinz sprechen. Sofort.«
    Sie weicht etwas zurück, schockiert und ratlos, weil so noch nie jemand mit ihr gesprochen hat. Einen Moment lang entgleisen ihre Gesichtszüge zur Fratze der Empörung, dann besinnt sie sich, sagt nichts, steht auf, verschwindet durch eine Tür, die mit dickem Leder gepolstert ist.
    Stave muss nicht lange warten. Als er durch die Tür geführt wird, betritt er eine andere Welt. Ein weiter Raum, türhohe Fenster mit Alsterblick, ein Schreibtisch, drei Sessel und, tatsächlich, eine Couch. Doch nichts davon ist gediegen-englisch, sondern auf eine seltsame Weise modern und doch schon wieder altmodisch – Vorkriegszeit. Bauhaus, vermutet Stave. Die Sessel Würfel aus verchromtem Stahl und schwarzem Leder, die Couch eine hingegossene Liege aus den gleichen Materialien. Sicher sehr bequem, denkt der Oberinspektor, doch das sieht aus wie die Luxusvariante der Tische, auf denen Doktor Crzisini seine Leichen seziert. Aber seziert wird man hier ja auch, in gewisser Weise.
    Die Wände sind weiß, ein einziges Bild hängt an der den Fenstern gegenüberliegenden Wand. Schwarze, wilde Striche auf ockerfarbenem Grund. Muss moderne Kunst sein, vermutet Stave. Parkettboden, blank poliert. Auf der Bank des mittleren Fensters die Bronzefigur eines sitzenden Mannes, irgendwie asiatisch. Vielleicht Buddha? Keine Urkunde an der Wand, kein Diplom, kein Familienfoto auf dem Schreibtisch, kein Telefon.
    Stave hat einmal in einem Buch ein Foto von Sigmund Freud gesehen und unbewusst erwartet, einem Abbild des berühmten Forschers zu begegnen. Tatsächlich jedoch tritt ihm nun ein Mann entgegen wie aus einem Rekrutierungsplakat der SS: Professor Bürger-Prinz ist etwa 1,90 Meter groß, athletisch, hat kurze, blonde Haare und die leuchtendsten blauen Augen, die Stave je gesehen hat. Eine Farbe wie das Wasser eines norwegischen Fjordes. Der Oberinspektor fühlt sich durchschaut.
    »Was führt Sie so dringend zu mir?« Die tiefe, wohlmodulierte Stimme eines geübten Redners oder eines Sängers. Der Psychologe reicht ihm die Hand. Fester Druck.
    Stave ist erleichtert, als Bürger-Prinz auf zwei Sessel weist,

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