Trümmermörder
geworden, als er vom Ziel ihres Ausflugs hörte, und schweigt nun den ganzen Weg über.
Sie brauchen kaum eine Viertelstunde zu Fuß: über den Wall, vorbei am Bahnhof Dammtor. Wenn Bürger-Prinz recht hat, fährt es Stave durch den Kopf, dann kreuze ich gerade ein Revier des Trümmermörders. Der weiße Rauch einer Lokomotive quillt aus den Stahl- und Glasbögen des Bahnhofs. Leute in Mänteln, die Köpfe unter allen Arten von Stoff verborgen, Hunderte, wie überall. Ich bin nicht der Schwächste hier, denkt Stave, mir wird er schon nicht auflauern. Er hat keine Hoffnung, hier einen Verdächtigen aufzuspüren.
Sie eilen weiter, queren das verwüstete Gelände der Universität, biegen in die Neue Rabenstraße ein, eine ruhige Gegend in Rotherbaum, Alsternähe, in der auch das Pathologische Institut liegt. Stave fragt sich, wie viele Besitzer der Villen wissen, dass in ihrer Nachbarschaft Leichen zerteilt werden.
Ein paar Minuten später stehen beide in einem hellen Saal an einem Stahltisch, auf dem die Tote liegt. Aufgetaut. Doktor Czrisini grüßt Stave, dann Maschke, stellt ihnen einen jungen, bebrillten Assistenten vor, der protokollieren wird, was der Pathologe während der Leichenöffnung feststellt.
Stave schüttelt beiden die Hand und verkriecht sich tiefer in seinen Mantel, was ihm einen hochmütigen Blick des Assistenten einträgt. Er lächelt freundlich zurück. Mach dir keine Hoffnung, denkt er, ich kippe nicht aus den Latschen. Bei seinem Kollegen von der Sitte ist er sich da nicht so sicher: Maschke hat den beiden bekittelten Ärzten kaum die Hand gereicht und sieht bereits so aus, als müsste er sich gleich in eine der verchromten Wannen übergeben. Stave ist nur kalt. Auch die beiden Ärzte haben Mäntel unter ihren weißen Kitteln anbehalten.
Czrisini beginnt am Kopf, tastet und betrachtet zunächst, bevor er zum Skalpell und dann zur Knochensäge greift. Er geht methodisch vor und diktiert vieles, das Stave schon kennt. Dann aber horcht er auf.
»Kleine, braunrot eingetrocknete Wunde, linke Stirn«, sagt der Pathologe, »etwa zwei zu einem Zentimeter. Blutung in der Kopfhaut. Ebenso Stirn rechts über dem Augenlid geschwollen. Vielleicht Schläge.«
Also ist nicht nur der Alte von seinem Mörder traktiert worden, denkt Stave. Mindestens eine der Frauen hat sich ebenfalls vor ihrem Tod gewehrt – oder der Täter hegte auch gegen sie einen außergewöhnlichen Hass.
Nach einer Weile sägt Czrisini den Schädel auf. Betäubender Gestank füllt den Raum. Der Assistent blickt – wie er denkt: unauffällig – zu Stave hinüber. Der lächelt sardonisch zurück.
Maschke aber gibt ein Gurgeln von sich, presst die Rechte auf den Mund und stürzt zur Tür. Höhnischer Blick des Assistenten. Stave würde ihm am liebsten einen Tritt verpassen. Man soll doch froh sein, dass noch nicht jeder so abgebrüht beim Herumhantieren an Leichen ist, denkt er.
»Gehirn bereits hochgradig fäulnisweich«, diktiert Czrisini währenddessen ungerührt. Dann sieht er zum Oberkommissar hinüber. »Indiz für ein Todesdatum vor ungefähr vier Wochen.«
»Also der 20. Januar«, murmelt Stave.
»Gut möglich«, antwortet Czrisini.
Der Assistent sieht vom einen zum anderen, offenbar fassungslos darüber, wie die beiden auf ein so exaktes Datum kommen können.
»Prothese im Oberkiefer«, fährt der Pathologe fort. »Unterkiefer rechts zwei künstliche Backenzähne. Gold. Rechtes Zungenbein und beide Kehlkopfhörner zerbrochen«, gibt Czrisini zu Protokoll, als er sich am Hals zu schaffen macht. »Typisches Zeichen für Drosselung. Hat wahrscheinlich zum Tod geführt.«
Der Pathologe arbeitet sich langsam den Körper hinab, schält ihn, zergliedert Haut und Knochen, Nerven und Organe.
»Im Magen reichlich breiiger Speisebrei«, sagt er. Der Gestank wird nicht besser. Czrisinis Assistent wirft Stave wieder einen Blick zu.
»Was könnte sie gegessen haben?«, fragt der Oberinspektor.
»Brot wahrscheinlich. Oder Grütze. Auf jeden Fall genug, um nicht zu hungern.«
Dann endlich erreicht der Arzt den Unterleib der Toten. Stave tritt neugierig näher.
»Scheide ohne Spur von Verletzung«, murmelt Czrisini. Er greift wieder zum Skalpell, zerstört die alte Narbe, nimmt den Weg, den vor ihm schon einmal ein Chirurg genommen hat.
»Linke Gebärmutteranhänge fehlen.«
»Die Folgen der Operation?«
»Vermutlich. Aber sehen Sie: Die rechten Gebärmutteranhänge sind miteinander verwachsen. Der Eierstock ist ziemlich
Weitere Kostenlose Bücher