Trümmermörder
Reich schon anschreiben, dann bitten wir sie auch, uns Informationen über verdächtige Erbfälle zu senden. Und in Hamburg und Schleswig-Holstein klappern wir sämtliche Standesämter, Friedhofsverwaltungen und Beerdigungsunternehmen ab: Sind Menschen, auch unter ganz unverdächtigen Umständen, als verstorben gemeldet worden, auf die die Beschreibung unserer vier Toten passt? Fanden alle angekündigten Beisetzungen tatsächlich statt?«
Der Mann von der Sitte blickt ihn verwundert an.
»Vielleicht bringt jemand seine Ehefrau um und meldet das dem Standesamt, meldet auch eine Beerdigung an. So kassiert er sein Erbe. Aber die Beerdigung will er nie stattfinden lassen, aus Angst, jemand würde die Würgemale an der Toten erkennen. Also legt er sein Opfer in den Trümmern ab und sagt die Beerdigung ab. Kein Beamter vom Standesamt würde nachfragen, ob die auf dem gemeldeten Todesfall angekündigte Beerdigung auch stattgefunden hat. Schon gar nicht in diesen Zeiten. Und ein Beerdigungsunternehmer, dem der Auftrag storniert wird, rennt auch nicht unbedingt zum Standesamt oder gar zur Polizei. Der denkt doch, dass ihn ein billigerer Konkurrent ausgestochen hat«
»Gut, dass ich nicht Ihr Erbonkel bin«, murmelt Maschke.
»Wir werden zwei Fleißaufgaben abarbeiten«, sagt Stave. »Wir müssen die Schreiben an die Kripo-Dienststellen, die Standesämter und so weiter verfassen. Dazu brauchen wir wieder Dutzende Abzüge der Fotos. Wahrscheinlich sogar Hunderte. Frau Berg wird sich darum kümmern.«
Er beobachtet, wie MacDonald zusammenzuckt, als er ihren Namen hört. Doch keiner der beiden sagt etwas dazu.
»Und wir werden allen Chirurgen, die in den letzten zehn Jahren Eierstockoperationen vorgenommen haben, einen Brief schicken – mit Fotos der älteren Frau, vom Kopf und untenrum. Die Ärzte in zweihundert Kilometer Umkreis von Hamburg werden wir persönlich aufsuchen. Das geht schneller, und das werden Sie erledigen, Maschke.«
»Mein Glückstag«, erwidert der Mann von der Sitte, sieht aber für seine Verhältnisse nicht unzufrieden aus. »Solange ich bei keiner weiteren Obduktion dabei sein muss, bin ich Ihr Mann.«
Der ist ganz froh, dass er hier rauskommt, vermutet Stave. Dann ist er aus der Feuerlinie, falls man mir wegen des Trümmermörders noch mehr Ärger bereitet. Maschke ahnt nicht, dass ihm der Oberinspektor, bei aller mittlerweile aufgekommenen Sympathie, mit dem Auftrag keinen karriereschonenden Gefallen tun will, sondern dass er Hintergedanken hat.
Stave steht auf. »An die Arbeit.«
Nachdem die Männer sein Büro verlassen haben, wartet Stave ein paar Augenblicke, bevor er ins Vorzimmer geht. Vielleicht, denkt er, sind MacDonald und Erna Berg dankbar für einige Sekunden Zweisamkeit. Doch als er endlich den Raum betritt, findet er die Sekretärin alleine an ihrem Tisch. Er sagt ihr, was zu tun ist, sie macht sich Notizen – mit zitternder Hand.
Schließlich kommt er sich dumm vor, weiterhin so zu tun, als bemerke er nichts. »Fehlt Ihnen etwas?«, fragt er. Und merkt zu spät, wie plump vertraulich das klingt. »Sie müssen mir selbstverständlich nichts sagen«, stottert er rasch hinterher. Klingt noch dämlicher.
Der klägliche Versuch eines Lächeln, doch dann gibt Erna Berg auf und weint stumm. Stave steht verlegen daneben, sieht die Tränen, die unter den vors Gesicht geschlagenen Händen hervorquellen, über die Wangen laufen, auf den Schreibtisch tröpfeln. Er zieht sein Taschentuch heraus, will ihr damit über das Gesicht streichen, findet das dann doch zu intim, und wischt stattdessen die feuchten Perlen von der Schreibtischplatte. Eine quälende Ewigkeit vergeht so, in der er nicht weiß, was er tun soll, und sich zugleich davor fürchtet, dass gerade jetzt jemand ins Büro platzen könnte.
Endlich beruhigt sich seine Sekretärin wieder etwas, nimmt das Taschentuch, das er noch immer in der Hand hält, wischt sich über das Gesicht, schnieft hinein.
»Das kann ich Ihnen nun schlecht wiedergeben«, murmelt sie und steckt es ein. »Ich bringe es Ihnen morgen wieder mit, gewaschen und gebügelt.«
»Sie dürfen es behalten«, antwortet Stave.
»Wenigstens eine Sorge weniger«, erwidert sie. »Es tut mir leid, dass ich hier eine Szene mache.«
»Sie können sich den Tag freinehmen.«
Sie winkt erschrocken ab. »Mir geht es im Moment hier besser als zu Hause.« Dann holt sie tief Luft. »Sie ahnen sicher etwas?«, fragt sie schüchtern.
»MacDonald?«
»James – Lieutenant
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