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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Abzüge vom Polizeifotografen einholen. Zur Not kann er die wenigen Zeugen auch noch einmal einbestellen. Anna von Veckinhausen. Für einen Moment denkt er an sie, zwingt sich dann aber rasch, sich wieder auf das neue Rätsel zu konzentrieren.
    Als er sich schließlich um kurz vor Mitternacht mühsam vom Schreibtisch hochstemmt, weiß er, dass er mit den Ermittlungen weitermachen kann – mit den offiziellen Ermittlungen in Sachen Trümmermörder. Und mit seinen höchst privaten Ermittlungen in Sachen Aktendiebstahl. Er wird heimlich nach den Schriftstücken suchen. Wird die Menschen, die er für Kollegen, manche sogar für Freunde hielt, unauffällig nach Motiv und Gelegenheit überprüfen.
    Und er wird niemandem mehr trauen.

Unter Kollegen
Donnerstag, 13. Februar 1947
    Eiskaltes Wasser auf der Haut und Sunlicht-Kernseife von der Farbe geronnener Galle, die blasig schäumt. Stave weiß, dass in der Sunlicht-Fabrik im Stadtteil Bahrenfeld Knochen eingekocht werden. Er ermittelte letztes Jahr im Werk, weil er einen Mörder verdächtigte, sein Opfer dort in einen der Kessel geworfen zu haben. Er hat nichts beweisen können – aber wer weiß?
    Er wäscht sich, bis seine Haut brennt. Stave spürt das Bedürfnis, den Schmutz wegzuspülen, den sichtbaren wie den unsichtbaren. Immerhin ist es morgens inzwischen hell genug, dass er sich im angestoßenen Spiegel über dem Waschbecken ins Gesicht sehen kann. Nicht, dass ihn dieser Anblick aufmuntern würde.
    Auf der Straße ist er froh, dass er keine Uniform trägt. Niemand erkennt in ihm einen Polizisten. Überall kleben Plakate: »Wer kennt die hier abgebildeten Personen?« Darunter vier Leichenfotos. Dann der Text mit der Bitte, dem Flehen, wenn man genau liest, wenigstens einen der Toten zu identifizieren. 60 000 Plakate hat Cuddel Breuer genehmigt. Sie prangen, so meint Stave, an jeder Wand, an jeder unbeschädigten Litfaßsäule. Per Kurier sind sie zu den Dienststellen in anderen Städten geschickt worden, bis in die Sowjetzone.
    Bilde ich mir das ein, denkt Stave: Die Menschen scheinen heute noch schneller über die Straße zu hasten, noch starrer den Blick zu meiden, noch tiefer in Mänteln und Schals zu versinken. Niemand geht mehr direkt an den Trümmergrundstücken entlang. Die werden gemieden, als brüte dort eine Seuche. Lieber weichen die Passanten auf die Straßenmitte aus, als im Schatten einer leeren Fassade, einer halb eingefallenen Mauer vorbeizugehen.
    In die offenen Eingeweide eines ausgebombten Mehrfamilienhauses hat jemand mit Brettern und Dachpappe eine Bude hineingesetzt wie ein Geschwür. Auf einer Leine vor dem Verschlag baumelt ein Tuch, bretthart gefroren. Ein geborgenes Kellerfenster ist in die nach rechts geneigte Vorderseite der Behausung eingelassen. Dahinter zerschlissene Vorhänge, noch zitternd von einer raschen Handbewegung. Da mustert mich jemand, glaubt der Oberinspektor, als er den Ort passiert. Da hält einer Wache. Er fühlt sich von verstohlenen Blicken verfolgt und dreht unauffällig den Kopf. Niemand. Er geht schneller, dann langsamer, biegt plötzlich scharf rechts ab, schlägt einen Haken, kehrt zurück auf die Straße. Niemand. Nur vermummte, eilige Gestalten, die irgendwo herkommen und irgendwo hinrennen.
    Lass dich bloß nicht verrückt machen, denkt er.
    In der Zentrale hofft er einen Moment lang auf ein Wunder: dass die Akten wieder auf seinem Schreibtisch liegen, ein bedauerlicher Irrtum eines Kollegen, alles in Ordnung.
    Doch die Dokumente bleiben verschwunden.
    Stave macht sich in den langen Gängen auf die Suche nach dem Polizeifotografen. Erna Berg kann er nicht schicken, sie ist noch nicht da. Ungewöhnlich, denkt der Oberinspektor. Er trifft den Fotografen in einem Labor und bestellt neue Abzüge aller Leichenbilder im Fall des Trümmermörders. Den erstaunten Blick des Kollegen ignoriert er.
    Als er zu seinem Büro zurückkehrt, öffnet Erna Berg gerade die Tür: bleich, verquollene, gerötete Augen, aber bemüht, sich nichts anmerken zu lassen.
    Liebeskummer, vermutet Stave. Wenn sie darüber mit mir nicht reden will, dann muss sie es nicht. Er grüßt freundlich, als wäre alles wie immer. »Bitten Sie doch Maschke zu mir«, sagt er und, eine winzige Spur hinterhältiger, »und für heute Nachmittag um zwei Uhr auch Lieutenant MacDonald.«
    Als Maschke eingetroffen ist, macht er sich zusammen mit ihm auf den Weg zu Doktor Czrisini. Er will dabei sein, wenn die Leiche aufgeschnitten wird. Sein Kollege war blass

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