Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trugschluss

Trugschluss

Titel: Trugschluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
Vom Netzwerk:
Nordlichter, die
sich angesichts der 700 Meter, die sie vom Parkplatz am Unteren Älple
hochgestiegen waren, gegenseitig anerkennend auf die Schulter klopften. Mathees
konnte seine Besucher, wenn sie schweißnass und erschöpft in den engen Flur
traten, meist auf Anhieb einschätzen. Auch die beiden Männer, die an einem
Ecktisch Platz genommen hatten, hat er sofort in eine Schublade gesteckt: Der
eine Geschäftsmann, der andere eher ein Naturbursche. Dass die beiden sich so
angeregt unterhalten konnten, hatte Mathees überrascht. Sie waren vor einer
Stunde gekommen und hatten eine Übernachtung gebucht. Seither saßen sie an dem
Ecktisch, tranken eine Halbe nach der anderen und unterhielten sich angeregt
über die Terroranschläge, die auf den Tag genau vor einem Jahr die Welt
erschütterten. Die beiden Männer waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie
die zahlreichen anderen Gäste, die mittlerweile den urigen Gastraum
bevölkerten, gar nicht beachteten. Ab und zu warf jener, den der Wirt als
Naturbuschen eingestuft hatte, einen Blick aus dem Fenster, von wo aus sich ein
geradezu atemberaubendes Panorama auf die Lechtaler Alpen auftat.
    »Ich sag dir«, meinte der Naturbursche,
knapp 50, schlank, zersaustes braunes Haar und mit einer faltigen Gesichtshaut,
die Wind und Wetter gegerbt haben, »an dir geht das wahre Leben vorbei. Das
Leben besteht nicht nur aus Akten und Kohle machen.« Er nahm einen kräftigen
Schluck Bier und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von dem Mund. »Irgendwann
trifft dich der Schlag – und das war’s.«
    Sein Gesprächspartner, der an der
Oberkante des kleinen Tischchens saß, sah ihn nachdenklich an. Der Mann war
viel kräftiger, als der schmächtige Naturbursche, trug eine randlose Brille und
hatte nur noch dünnes schwarzes Haar. Auch er dürfte um die 50 gewesen sein. »Nimm’s
mir nicht übel, aber die Welt kann nicht nur aus Lebenskünstlern bestehen«,
sagte er schließlich, »wo wären wir heute, gäb’s nicht die engagierten
Unternehmer, die Manager und, ja, sagen wir’s ruhig, die Kapitalisten?«
    Der Naturbursche rutschte mit seinem Stuhl
zurück und schlug die Beine übereinander. »Wo wir da wären?«, wiederholte er, »Mensch,
Winni«, er kannte den Vornamen seines Bergfreunds erst seit gestern Abend, als
sie drüben auf der Freiburger Hütte, gerade mal eine Tagestour entfernt,
zufällig am selben Tisch saßen. »Die Menschheit wäre vielleicht ohne das alles
glücklicher und zufriedener. Sei doch mal ehrlich zu dir selbst: Was von all
dem, was du dir leisten kannst, brauchst du tatsächlich? Okay, ich kenn dich
noch zu wenig, aber ich geh einfach mal davon aus, dass du eine tolle Villa
hast, eine super Limousine und mehrmals im Jahr in Urlaub gehst, stimmt’s?«
    Winni ging nicht darauf ein. Stattdessen
erwiderte er: »Den ganzen Wohlstand, der uns das Leben so angenehm erscheinen
lässt, verdanken wir einzig und allein der Wirtschaft. Dass dies so ist, hat
sich doch in den letzten Jahren gezeigt. Sobald es nicht mehr so läuft wie
gewohnt, wirkt sich das in alle Lebensbereiche aus. Plötzlich müssen wir sparen,
den Gürtel enger schnallen.«
    »Da geb ich dir recht«, räumte der
Naturbursche ein, »aber übersiehst du nicht das Wesentliche, das Wichtige, das
wirklich Wahre im Leben? Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, was
hinter allem steckt?« Er ließ seinen Blick aus dem Fenster schweifen, hinaus
auf diese grandiose Bergwelt. »Glaubst du, das ist alles nur so da, einfach
zufällig. Irgendwie aus dem Nichts entstanden?«
    Winnie nahm einen Schluck Bier und wischte
sich den Schaum vom Mund. »Menschenskind, Jörg, du redest hier wie auf deiner
Kanzel.« Sein Gesprächspartner, der aussah wie ein Naturbursche, war daheim im
Schwäbischen einmal katholischer Pfarrer gewesen, hatte dann aber aus Gründen,
die er seinem Bergfreund noch nicht anvertrauen wollte, diesen Beruf an den
Nagel gehängt, um Schriftsteller zu werden. Winnie hegte allerdings erhebliche
Zweifel, ob man davon leben konnte.
    Um sie herum wurde es immer lauter. Die
Stimmen von gut und gern drei Dutzend Gästen erfüllten den Raum. Es war rauchig
und stickig. Die Sonne schien durch die westlichen Fenster. Ein junges Paar
fragte, ob es die beiden einzigen freien Stühle vom Tisch der beiden Männer
nehmen und nebenan zu Freunden sitzen dürfe. Winnie nickte und war froh, mit
seinem Bekannten allein bleiben zu können. Denn ihm lag etwas auf dem Herzen.
    »Du bist
Pfarrer«,

Weitere Kostenlose Bücher