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Trugschluss

Trugschluss

Titel: Trugschluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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leider gilt auch für
viele in der sogenannten zivilisierten Welt, dass sie nicht wissen, was sie
tun.«
    Der Jüngere nickte wieder und sah die
Gelegenheit zu einem kurzen Kommentar für gekommen: »Deshalb ist es das Gebot
der Stunde, sich gegen das Böse zu wehren.«
    Sein älterer Kollege pflichtete ihm bei: »Das
Böse breitet sich aus, junger Freund. Es sieht so aus, als sei das Böse das
Normale. Wenn wir uns ihm nicht in den Weg stellen, energisch und entschlossen,
wird es bald nur noch Böses geben. Alles, was die Menschheit bisher errungen
hat, war doch nur möglich, weil das Böse zurückgedrängt wurde, der Mord und
Totschlag, Anarchie und Brutalität, wie es – erlauben Sie den Vergleich –
draußen in der Natur vorherrscht. Kampf ums nackte Überleben, jeder frisst
jeden. Ja, geh’n Sie mal raus in die Steppe, in den Dschungel. Zwar ein
wunderbares Gleichgewicht der Natur – aber ein ständiger Kampf ums Überleben.
Jeder ist sich selbst der Nächste.« Der Wissenschaftler machte eine Pause und
beobachtete, wie sich der Speisesaal nach und nach leerte. Draußen blies ein
leichter Wind, was an den Sträuchern vor den Fenstern zu erkennen war. »Wissen
Sie, junger Freund«, fuhr er dann fort, »wie wir in den Industrieländern die
Welt erleben, ist sie nicht wirklich.« Er überlegte kurz. »Wir sitzen hier
noch, ich betone, noch und erinnere sorgenvoll an den vergangenen September,
wir sitzen noch auf einer Insel der Glückseligen. Die Fernsehbilder belehren
uns alltäglich aber eines ganz Anderen. Wir haben nur das Glück, das
wahnsinnige Glück, dass wir gerade an einem Flecken dieser Welt leben, an dem
das Böse weitestgehend zurückgedrängt wurde. Die Gnade der richtigen Geburt.«
    Der junge Mann nickte abermals und schob
den leeren Teller beiseite.
    »Wissen Sie, was ich mir manchmal
überlege?«, fragte der Ältere, ohne eine Antwort zu erwarten, denn die gab er
sich selbst: »Welchen Eindruck hätten Außerirdische, wenn sie erstmals mit
einem Forschungslabor auf diesem Planeten gelandet wären? Ich sag’s Ihnen: Sie
wären schockiert. Die würden entsetzt konstatieren, dass sie es mit einer sehr,
sehr niederen Lebensform zu tun hätten, mit Lebewesen, die sich gegenseitig
totschlagen und die nicht in der Lage sind, sich auf diesem winzigen Planeten,
der eigentlich, wenn man’s genau betrachtet, ein Paradies ist, ein schönes
Leben zu machen. Ein Leben, das gerade mal lächerliche 70, 80 oder vielleicht
90 Jahre dauert. Nein, junger Freund, die Außerirdischen würden fassungslos in
ihr Raumschiff steigen und den Ort des Schreckens verlassen. Hals über Kopf.
Glauben Sie mir das! Hals über Kopf!«
    Die beiden Männer schwiegen sich für einen
Moment nachdenklich an, dann stellte der Ältere fest: »Denn wenn wir davon
ausgehen, dass uns Außerirdische in dieser Unendlichkeit, die da draußen um uns
rum herrscht, tatsächlich aufspüren würden, dann wären das verdammt clevere
Burschen und uns haushoch überlegen. Denn – das wissen wir beide am besten –
nach unserem bescheidenen menschlichen Ermessen gibt’s keinerlei Chance, so
tief ins Universum vorzudringen, um vielleicht Planetensysteme zu finden, die
Leben möglich machen, wie wir es kennen. Es trennt uns nicht nur der Raum,
sondern auch die Zeit – oder besser gesagt: beides.« Der Wissenschaftler
bemerkte den kritischen Blick seines Gegenübers und fügte leicht lächelnd
hinzu: »Nach heutigem Wissen, junger Freund.« Er stand auf und ergänzte im
Weggehen: »Einstein lässt grüßen.«

18
     
    Berlin, Donnerstag, 27. Juni 2002.
    Der Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland fuhr sich
sorgenvoll über den kahlen Kopf und lehnte sich in seinem bequemen Bürosessel
zurück. »Der Kanzler ist ungehalten«, stellte er mit verengten Augenbrauen fest
und blickte in die Runde seiner Mitarbeiter, die sich in einem abhörsicheren
Raum um einen ovalen Tisch versammelt hatten. Staatssekretäre und verteidigungspolitische
Experten der Regierungspartei, insgesamt zwei Dutzend Männer, meist jenseits
der 40, waren an diesem heißen Frühlingsnachmittag kurzfristig zu einem
informatorischen Gespräch ins moderne Paul-Löbe-Haus beim Reichstag gebeten
worden. Der Minister setzte seine ernste Miene auf und räusperte sich: »Meine
Herrn, alles deutet darauf hin, dass sich die USA nicht mehr von einem
Vergeltungsschlag gegen den Irak abbringen lassen wollen.« Er rückte einen
roten Schnellhefter akkurat an den Tischrand und sah

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