Trugschluss
Wohlbefinden ihrer
Gäste erkundigt hatten, kam Abdul zur Sache:
»In den vergangenen Monaten ist sehr, sehr
viel geschehen.« Er griff zu einem Aktenordner und öffnete ihn. »Unsere Freunde
aus Dubai haben ausgewertet, was Sie uns aus den USA mitgebracht haben. Sehr
interessant.« Abdul nahm ein Blatt mit einer Auflistung von Zahlenreihen in die
Hand. »Wir haben inzwischen alle Standorte geortet«, er lächelte, »Sie haben
wirklich gute Arbeit geleistet, Mister Braunstein. Die Software von der
Raumstation hat es möglich gemacht.«
Braunstein, der ein leichtes helles
Sommerjackett trug, lehnte sich zufrieden zurück. Manuela Lilienthal, seine Begleiterin,
schlug die Beine übereinander.
»Damit«, so warf Ben-Ali mit gleichem
arabischem Akzent ein, »haben wir festgestellt, dass die Sache in die Endphase
geht.«
Abdul fiel ihm ins Wort: »Es ist deshalb
Eile angesagt. Denn unser Zeitrahmen ist, sagen wir mal, etwas eng bemessen.«
Abduls Gesichtsausdruck wurde ernst. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen.
»Das heißt?«, fragte Braunstein knapp und
kam mit dem Oberkörper wieder nach vorne zur Tischplatte. Er schwitzte
ebenfalls.
»Wir müssen mit allen Mitteln versuchen,
den Start zu verhindern«, sagte Abdul scharf. Braunstein spürte, wie ihm das
Blut in den Kopf schoss. Auch seine Begleiterin wurde unruhig.
Er versuchte, gelassen zu bleiben. »Das
dürfte nicht so einfach sein.«
Ben-Ali hob eine Augenbraue: »Das ist uns
selbstverständlich klar. Es stehen Ihnen auch unbegrenzte Mittel zur Verfügung.«
Braunstein holte tief Luft. »Unbegrenzte?«
wiederholte er ungläubig.
Die beiden Araber nickten.
»Da ist nämlich noch etwas«, fuhr Abdul
fort und griff sich einen anderen Aktenordner, »etwas, das uns noch mehr
Kopfschmerzen bereitet, Mr. Braunstein.«
Braunstein und Manuela Lilienthal schauten
sich irritiert an. Von der Straße drang endloses Hupkonzert herauf.
»Unterliegt höchster Geheimhaltung«, sagte
Abdul. »Dass wir Sie hierher nach Kairo gebeten haben, hat einen Grund.« Er
behielt die beiden Deutschen fest im Auge. »Ein Grund«, machte er weiter, »der
rätselhafter ist, als – sagen wir – der Bau dieser Pyramiden da draußen.« Er
machte eine Kopfbewegung, die wohl zu den Pyramiden von Gizeh, draußen vor der
Stadt, deuten sollte.
Braunstein verengte die Augenbrauen, sagte
aber nichts.
»Wir haben eine kurze Testphase gemacht,
geringe Energie nur, fünf Minuten«, berichtete Abdul und blickte auf ein Blatt
Papier, als lese er davon ab. »Seitdem empfangen unsere Geräte einen Dauerton –
auf einer Frequenz …«, er blätterte in seinen Unterlagen, »die ich nicht
notiert habe.«
»Einen Dauerton?«, fragte Braunstein
zweifelnd, während seine Begleiterin noch immer nichts zur Konversation
beitrug.
Abdul nickte, sein Kollege schien wie
versteinert zu sein. »Wir haben seine Herkunft geortet.«
»Und?« Braunstein sah seinem Gegenüber
tief in die Augen.
»Was ich Ihnen jetzt sage, Mister
Braunstein, unterliegt höchster Geheimhaltungsstufe, ist Ihnen das klar?«
Die beiden Deutschen nickten stumm und
gespannt. Ihre Kehlen waren trocken.
»Als Ausgangspunkt dieses Sendesignals«,
machte der Araber weiter, »haben wir die Cheopspyramide geortet.«
21
Kurz vor Weihnachten 2002 in Geislingen/Steige.
»Zufälle, gibt’s die denn?« Winfried Neumanns dünn gewordenes
schwarzes Haar stand nach allen Seiten weg, als er an diesem Adventstag das
Glas Rotwein hob und lächelte. Im ›Kornschreiber‹, dieser historischen,
reetgedeckten Kneipe am Rande der Altstadt von Geislingen/Steige, war es warm
und stickig. Die Luft in dem rustikal eingerichteten Lokal schien wie zum
Schneiden. Es herrschte drangvolle Enge, alle Plätze an den massiv-hölzernen
Tischen waren belegt.
Neumann, den seine Freunde »Winnie«
nannten, hatte mit seiner Frau Lilo die beiden Männer eingeladen, die ihnen nun
gegenüber saßen: Georg Sander, der Journalist der örtlichen Tageszeitung, und
Jörg Brobeil, den Theologen, der sich seit geraumer Zeit als Schriftsteller
betätigte.
»Zufälle«, meinte Brobeil, dessen
Gesichtshaut von Wind und Wetter gegerbt schien, »Zufälle, nein, die gibt es
nicht. Deshalb musste es so kommen, dass wir uns kennengelernt haben – der
Winnie und ich.« Auch er hob sein Rotweinglas. Lilo lächelte gezwungen. Sie war
einerseits froh, dass sich eine Gesellschaft zusammenfand, die sich ihres
Problems annehmen wollte. Andererseits fühlte sie sich matt und
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