Trugschluss
Bezeichnung
überhaupt benutzen soll, wird nicht durch Zerstören geführt, sondern durch
heimliche, unsichtbare Angriffe. Da bin ich felsenfest davon überzeugt.«
Seine Frau fühlte sich wieder bestätigt
und lächelte ihn von der Seite an.
22
Sonntag, 9. Februar 2003.
Wenn die Alpen noch tief verschneit sind, dann macht sich südlich
davon, im sonnigen Tessin, bereits der Frühling bemerkbar. In Morcote, dem
kleinen Künstlerdörfchen an der südwestlichen Ecke des Luganer Sees, war das
Erwachen der Natur bereits deutlich zu spüren. Schon waren einige der Terrassen
bestuhlt, die sich entlang der schmalen Straße direkt am See befanden. Durch
die Passagen auf der anderen Seite bummelten Touristen. Die Ristorantes hatten
im Schutze der historischen Arkaden-Überbauung ihre Tische einladend gedeckt.
Jens Vollmer, der junge Ulmer, fühlte sich
hier inzwischen zu Hause. Er hatte all diese kleinen Orte am Luganer See zu
schätzen gelernt. Insbesondere natürlich dieses Morcote, wo Anja daheim war,
die Freundin seines amerikanischen Freundes Joe. Unzählige Male waren sie
inzwischen dort gewesen, Vollmer und seine Claudia, die mittlerweile davon
schwärmte, von dem Angesparten, das auf Schweizer Konten lag, ein Häuschen zu
kaufen oder irgendwo am Südhang hoch über dem See eines zu bauen.
An diesem Wochenende im Februar war Joe
mal wieder in die Staaten geflogen, wie er das in den vergangenen Monaten
häufig getan hatte. Deshalb war Vollmer mit Claudia zu Anja gefahren. Zu dritt
machten sie an solchen Wochenenden, wenn Joe nicht da war, Ausflüge oder
Spaziergänge in die Umgebung. Heute stiegen sie hinter dem Restaurant von Anjas
Eltern, die steilen Stufen der historischen Gasse zu dem kleinen Kirchlein
hinauf, von dem aus sich ein grandioser Ausblick auf den See und die umliegende
Landschaft bot. Sie lehnten an die Begrenzungsmauer, bis zu der herauf die
Wipfel der mediterranen Bäume und Sträucher reichten. Die Sonne wärmte diesen
steilen Südhang, an den sich Morcote schmiegte. Anja und Claudia genossen für
einen Augenblick schweigend die Aussicht auf den glitzernden See.
»Darf ich euch etwas fragen?«, brach Anja
plötzlich die Stille und schaute in die Ferne.
Jens war von dem Tonfall überrascht. »Du
darfst uns alles fragen.« Er stand zwischen den beiden Frauen.
»Der Job, den ihr da macht«, sie zögerte
einen Moment und drehte sich zu Jens und Claudia hin, »das sind doch
militärische Dinge?«
Über sein Gesicht huschte ein Lächeln,
Claudias Blick wich nicht von einem imaginären Punkt in der Ferne. Vollmer nahm
Anja freundschaftlich in den Arm. »Du machst dir Sorgen – warum?«
Sie überlegte, denn sie wusste von Joe,
dass über die Arbeit niemand sprechen durfte. »Wenn jetzt dieser Krieg losgeht,
demnächst, im Irak«, sie sprach langsam, »hat das damit zu tun?«
Jens streichelte ihr übers Haar. »Du
weißt, wie zerbrechlich unsere westliche Zivilisation ist, wie verwundbar.« Er
holte tief Luft. »Der elfte September hat’s gezeigt.«
»Was habt ihr damit zu tun, was Joe?«,
fragte Anja nach, ganz leise und vorsichtig. Claudia schwieg noch immer.
»Wie wir dir doch schon gesagt haben«,
erwiderte er und verwies damit auf nächtelange Gespräche, die sie darüber auch
mit Joe bereits geführt hatten, »über ganz Europa wird ein sensibles
elektronisches Überwachungsnetz gelegt, mit dem die Amerikaner, oder besser
gesagt: alle NATO-Staaten in der Lage sind, terroristische Aktivitäten
rechtzeitig zu erkennen. Mit heutigen Mitteln ist das viel besser und
effektiver möglich, als zu Zeiten des Kalten Krieges, als jede Seite bis auf
die Zähne bewaffnet über den Eisernen Vorhang geschielt hat.«
Anja legte jetzt beide Hände auf die
Schulter des jungen Mannes und schaute ihm tief in die Augen, während Claudia
noch immer stumm zum Horizont blickte. »Und damit«, fragte Anja bewusst naiv
und ein bisschen trotzig, »damit kriegt ihr raus, wenn ein Terrorist mit einer
Bombe über die Grenze kommt?«
Er lächelte. »Nein, Anja, natürlich nicht.
Wir wollen gerade dies zu einem viel früheren Zeitpunkt erfahren. Aber versteh
doch bitte, dass ich darüber genauso wenig reden darf, wie Claudia oder Joe.
Auch nicht mit dir. Das hat nichts mit Misstrauen zu tun.«
Sie machte einen Schmollmund. »Ihr hört ab«,
sagte sie trotzig, »ihr belauscht Handys und alles, was über Funk läuft,
stimmt’s?« Sie nahm ihre Hände wieder von seiner Schulter.
Er streichelte ihr noch einmal
Weitere Kostenlose Bücher