Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trugschluss

Trugschluss

Titel: Trugschluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
Vom Netzwerk:
zufällig, ja, es gibt wirklich solche Zufälle,
die ich im Eiscafé gelesen hab, weil sie ein Mann mir gegenüber aufgeschlagen
hatte: ›Knipsen dunkle Mächte uns den Strom aus?‹, stand da zu lesen.« Sie
wiederholte theatralisch: »Ja, ›dunkle Mächte‹ haben die geschrieben.«
    Jens versuchte, das Gespräch auf ein
anderes Thema zu lenken. »Und was willst du uns damit sagen?«
    Sie drehte sich wieder ruckartig um. »Das
fragst du? Das fragst du einfach so?« Sie schien verärgert zu sein.
    Claudia wollte deshalb einlenken: »Na ja,
wir denken, du hast das mit Joe doch sicher auch schon diskutiert?«
    Sie zögerte einen Augenblick. »Natürlich
hab ich das. Aber ich sag euch ganz ehrlich, welchen Eindruck ich hab: Er will
das gar nicht hören – und auch nicht verstehen.« Und dann fügte sie hinzu: »Und
ich glaube, ihr auch nicht.«
    Jens befürchtete eine Eskalation und
versuchte zu besänftigen: »Bitte, Anja, wir sind nicht die Verschwörer, für die
du uns hältst.«
    Er glaubte, im Licht der Lampe ein kurzes
Lächeln über ihr Gesicht huschen zu sehen. »Manchmal befürchte ich, unsere
Freundschaft könnte daran zerbrechen. Die zu euch und die zu Joe.«
     
    Aus der Vergangenheit erwächst die Zukunft. Zu fragen, was
gewesen wäre, wenn wir etwas nicht getan oder es anders gemacht hätten, ist
mühsam. Bei einem Verkehrsunfall können Sekunden schicksalhaft sein. Der
Schlüssel, der vor der Wegfahrt nicht auffindbar war, oder das beiläufige
Gespräch mit dem Nachbarn – dies alles entscheidet, ob wir zum falschen
Augenblick am falschen Ort sind. Unser Verständnis zu Raum und Zeit lehrt uns,
dass nichts rückgängig zu machen ist. Wie in einem Buch, das wir lesen. Wir
können zwar zurückblättern, als tauchten wir in die Vergangenheit ein – ändern
werden wir am Lauf der Geschichte nichts. Das gilt auch, wenn wir ein paar
Seiten nach vorne schauen, in die Zukunft blicken. Im Buch gehen wir ihr mit
jeder Zeile, die wir lesen, entgegen – ohne beeinflussen zu können, was da
steht. Die Zeit also auch vorbestimmt, unaufhaltsam, ablaufend, wie ein Film?
Wie ein Fluss voller Ereignisse?

28
     
    Freitag, 28. November 2003.
    Die Zeit kroch dahin, als würde sie sich dehnen. Jede Minute eine
halbe Ewigkeit. Vier Stunden bereits zog sich die Sitzung des Kreis-Parlaments
von Göppingen hin und noch immer schien kein Ende in Sicht. Einen breiten Raum
hatten bereits die Stellungnahmen der Fraktionen zum Haushaltsplan 2004
eingenommen. Anschließend standen noch weitere Punkte auf der Tagesordnung, zu
denen sich die üblichen Dauer-Redner unter den 69 Kreisräten zu Wort meldeten.
Ausgiebig und rhetorisch meist wenig aufregend legten sie dar, was in den
Fraktionssitzungen beschlossen und längst durchgekaut worden war.
Gegenargumente, und mochten sie noch so leidenschaftlich und fundiert
vorgetragen werden, fanden so gut wie keine Beachtung. Der Versuch des
politischen Gegners, die jeweils andere Seite zu einem Umschwenken zu bewegen,
war deshalb von vorneherein aussichtslos und meist nichts weiter als ein
Scheingefecht für die Öffentlichkeit, die oft nur aus einer einzigen Person
bestand, nämlich dem örtlichen Pressevertreter.
    Die Standpunkte waren im Vorfeld
festgeklopft worden, nichtöffentlich.
    Um überhaupt zu verstehen, was sich hinter
den Tagesordnungspunkten verbarg, mussten die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker
viel Zeit investieren und daheim pfundweise Papier-Unterlagen studieren,
verfasst in schönstem Bürokratendeutsch. Der Landrat, der in Baden-Württemberg
der Kreis-Verwaltung vorsteht, konnte schon vor der Sitzung mit einem einzigen
Blick erkennen, wer sich ernsthaft mit den Vorlagen auseinander gesetzt hatte:
Wer die zentimeterdicken Papierstapel noch säuberlich geordnet, also so, wie
sie per Post zugestellt worden waren, aus dem Aktenkoffer zog, hatte sie gewiss
keines Blickes gewürdigt. Anders hingegen die Eifrigen, die jede Zeile
aufmerksam in sich aufsogen, wenn’s sein musste, auch ein zweites Mal. Deren
Unterlagen wiesen Gebrauchsspuren auf. Einzelne Passagen waren mit
Leuchtstiften hervorgehoben.
    Jetzt, nach vier Stunden ätzend
langweiliger Sitzung, nahm die Unordnung auf den kleinen Tischen zu. Blätter
wurden ungeduldig hin und her geschoben, Kringel auf die weißen Ränder gemalt.
Die Aufmerksamkeit ließ von Minute zu Minute deutlich nach, der gnadenlose
Kampf mit der Müdigkeit, durch verbrauchte Luft begünstigt, hatte begonnen. Das
war die große Stunde der

Weitere Kostenlose Bücher