Trugschluss
für die Praxis bedeutet, wird an einem
Beispiel ganz klar: Stellen Sie sich das Weltall wie ein gespanntes Gummituch
vor.«
Braunstein verengte die Augenbrauen,
Manuela kam mit ihrem wohlgeformten Oberkörper weiter nach vorne.
Der Araber strich mit beiden Händen über
die weiße Tischdecke, als sei es jenes angesprochene Gummituch. Er überlegte
kurz, dann fragte er in die Runde und kullerte mit seinen großen Augen: »Wenn
Sie nun schwere Stahlkugeln auf das frei aufgehängte Gummituch werfen – was
passiert dann?«
»Es gibt Mulden«, antwortete Braunstein
wie ein gelehriger Student und wollte sogleich zum Ausdruck bringen, dass er
sich mit dem Thema auskannte: »Und wenn wir dem Gummituch in der Mulde folgen,
nimmt die Strecke, die wir zurücklegen müssen, deutlich zu.«
»Bravo”, lächelte Ben-Ali.
»Aber jetzt kommt’s«, fuhr sein Kollege
plötzlich fort, »wenn es gelingt, nicht dem Gummituch folgen zu müssen, sondern
sozusagen die Mulde zu überspringen sind die Ränder näher beieinander.«
Das hatten die beiden Deutschen bis jetzt
noch nicht bedacht. Manuela nahm wieder einen kleinen Schluck aus ihrem
Cocktailglas. Für einen kurzen Moment schwiegen sich die vier Personen an, dann
sagte die junge Frau zweifelnd: »Sie meinen, das sei ein … Zeitsprung?«
Braunstein schluckte. Irgendwo hatte er
diese Theorie in den vergangenen Monaten auch schon einmal gelesen.
»Nennen Sie’s, wie Sie wollen«, erwiderte
Abdul, der sich immer wieder vorsichtig umblickte. »Aber solche Gedanken gehen
nicht auf einen Spinner zurück – sondern auf einen Mann, der in dieser schönen
Stadt geboren wurde. Hab ich recht?«
Häberle, ein scharfer Beobachter und geduldiger Zuhörer, war sich
noch unschlüssig, ob er in eine dubiose esoterische Runde geraten war oder ob
diese Personen unter einem chronischen Verfolgungswahn litten, dessen Symptome
er schon häufig genug kennengelernt hatte. Brobeil berichtete, wie er seinen
Freund Winnie getroffen hatte, damals auf der ›Göppinger Hütte‹, und wie er
seither zusammen mit dessen Frau Lilo nach den Ursachen des Brummtons forschte.
Der Kommissar lehnte sich gemütlich zurück
und hörte zu. Linkohr machte sich eifrig Notizen. Schließlich griff die blasse
Lilo in ein Regal und holte einen Schnellhefter heraus. »Schauen Sie«, sagte
sie und zeigte eine Vielzahl ausgeschnittener Zeitungsartikel, die alle in
Klarsichthüllen steckten, »sogar das Nationale Datenzentrum zur Überwachung des
Kernwaffenteststopp-Abkommens hat sich der Sache angenommen. Das ist wohl so
eine Abteilung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in
Hannover.« Die Leute dort verfügen über ganz besonders sensible Messgeräte. Die
können, das hat mir ein Experte am Telefon gesagt, bei ihrem Horchposten im
Bayrischen Wald sogar den Überschallknall eines Flugzeugs über Irland
feststellen. Stellen Sie sich das mal vor, Herr Kommissar.«
Häberle blickte seitlich auf die Akten. »Und
was haben die festgestellt?«
Lilo zuckte enttäuscht mit den Schultern. »Sie
sagen, wenn sich’s um Infraschall handle, also um Frequenzen unter 16 Herz,
könne man eine Quelle nur herausfiltern, wenn sich die Intensität während der
Messung ändere.« Dazu hatte sie sich offenbar verschiedene handschriftliche
Notizen gemacht. Sie erklärte weiter: »Als sie im Mai in Blaubeuren hinter Ulm
gemessen haben – dort gibt’s auch Betroffene –, hat sich an dem Brummton nichts
verändert. Ich versteh das zwar alles nicht so genau, aber die Herren aus
Hannover haben deshalb nichts herausfiltern können.«
Der Kriminalist hakte nach: »Es gibt also
auch in der näheren Umgebung weitere Betroffene?«
Lilo Neumann seufzte, während ihr Mann
nickte und sagte: »Es scheinen immer mehr zu werden. Oder sagen wir: immer mehr
trauen sich, darüber zu reden.«
Lilo fügte hinzu: »Aber eines steht auch
fest.« Sie schlug ihren Schnellhefter zu und legte ihn auf den Stapel Akten
zurück. »In Asien hört man’s nicht.«
»Ach …«, staunte Häberle und Linkohr sah
von seinem Notizblock auf.
»Aber das haben wir alles schon dem
Zeitungsreporter erzählt«, machte Lilo weiter und nahm einen Schluck aus ihrem
Glas.
»Dem Herrn Sander«, ergänzte Brobeil, »ein
sympathischer Typ – aber leider fehlen ihm die Beziehungen zu den großen
Medien. Wenn Sie da keinen direkten Draht hin haben, nimmt Ihnen so eine
Geschichte keiner ab.«
»Wenn ich da mal nachfragen darf«,
schaltete sich jetzt der
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