Trugschluss
Jung-Kriminalist Linkohr ein, »aber vielleicht können
Sie mal mit laienhaften Worten erklären, was Sie befürchten und was Ihre
Recherchen erbracht haben.«
»Das will ich gerne tun«, entgegnete
Brobeil und kratzte sich im zersausten Haar, das er ganz sicher heute noch
nicht gekämmt hatte. »Ich mach’s kurz und knapp – und weiß, dass Sie uns nicht
ernst nehmen.« Sein Gesicht zeigte ein gequältes Lächeln.
Häberle runzelte die Stirn und gab sich
loyal: »Wir nehmen alles ernst, verehrter Herr Brobeil. Erst hinterher wird
sich herausstellen, was – na ja, sagen wir mal – weniger ernst gemeint war.«
»Sie meinen: gelogen«, lächelte der
Theologe und ließ sich von Lilo einen weiteren Aktenordner geben, in dem sich
Kopien vieler Computerausdrucke befanden. Einiges davon, das erkannte Linkohr
sofort, stammte von Internetseiten.
»Ich weiß nicht, ob Ihnen ›HAARP‹ etwas
sagt«, begann Brobeil und blätterte in den Unterlagen, auf denen mit gelbem
Markierstift einzelne Passagen hervorgehoben waren. Häberle fühlte sich zu
keiner Antwort angesprochen.
›HAARP‹, wiederholte Brobeil und las: »Es
geht auf ein US-amerikanisches Patent vom August 1987 zurück, vergeben an einen
Dr. Bernhard J. Eastlund. Und es beinhaltet, ich les es Ihnen wörtlich vor:
›Verursachung von totaler Zerstörung von Fernmeldesystemen‹ – aber auch, das
füg ich hinzu, im Luftraum und auf See.« Er machte eine kurze Pause, während
Lilo eifrig nickte, die anderen aber auf die Fortsetzung von Brobeils Vortrag
warteten: »Im Luftraum und auf See. Was dies für die Luft- und Raumfahrt, aber
auch für die Schifffahrt bedeutet, brauch ich Ihnen nicht zu sagen. Und dann
ist da auch noch das Ziel, das Wettergeschehen zu verändern … – bis hin, auch
das Bewusstsein des Menschen zu beeinflussen.«
Häberle holte tief Luft und griff nach
seinem Glas, um einen Schluck zu nehmen. Er hatte es in seiner Laufbahn schon
mit vielen Merkwürdigkeiten zu tun gehabt, mit schizophrenen Mördern und
angeblichen Geheimagenten, die ihm allerlei schreckliche Geschichten erzählten
– aber dies hier übertraf bei weitem alles. Und noch wusste er nicht, was er
davon halten sollte. Vor allem wusste er nicht, was dies mit dem gestrigen
Einbruch und der Bedrohung Lilos zu tun hatte. Aber immerhin, so schoss es ihm
durch den Kopf, hatte ja wohl der anonyme Anrufer diesen Brummton erwähnt. Und
mit dem befassten sich diese Herrschaften wohl schon seit Jahren.
»Alles geht von Alaska aus«, behauptete
Brobeil, während sein Freund Winnie seine randlose Brille von der Nase nahm, um
Schuppen aus den Gläsern zu pusten. »Dort in Gakona, so heißt der Ort, stehen
auf einer Fläche von 23 Hektar über 350 Hochfrequenz-Antennen«, las er aus
seinen Akten, »denn damit sollen gigantische Funkwellen erzeugt werden. Wir
haben es also mit einer Art elektromagnetischer Waffe zu tun.«
Lilo ereiferte sich mit starrem Blick: »Und
schauen Sie sich doch um – überall Funktürme, überall …«
Häberle verkniff sich, etwas zu sagen.
Hysterie um Funkwellen, dachte er sich. Er kannte dies aus den Zeitungen.
Sobald die Mobilfunk-Anbieter einen neuen Mast errichteten, gab es neuerdings
Proteste. Er erinnerte sich an die Aussage eines Mannes von der Telekom, der
ihm jüngst glaubhaft versichert hatte, dass die angeblichen Beschwerden, wie
Kopfweh und Herzrasen, bereits beim Anblick eines Mastens aufträten. Zum Beweis
dafür verwies er auf einen Vorfall, den er selbst offenbar erlebt hatte:
Anwohner hatten plötzlich über derlei Krankheitssymptome geklagt, obwohl in der
Mobilfunk-Sendeanlage noch gar keine Technik installiert war. Außer dem leeren
Gebäude und einem nackten Turm hatte es nichts gegeben. Nichts also, was
Funkwellen hätte abstrahlen können.
»Ich denke«, wandte er deshalb ein, »dass
man diese Kritik an Funkwellen zwar ernst nehmen, aber doch mit gewisser
vorsichtiger Distanz betrachten sollte.«
Lilo sah dies natürlich anders: »Die
überziehen das ganze Land mit Funktürmen, Herr Kommissar.«
Häberle erwiderte nichts. Dafür fuhr
Brobeil fort: »Da gebe ich Ihnen recht, Herr Häberle – vorsichtige Distanz.
Glauben Sie mir, das hab ich als Theologe gelernt. Aber ich denke, wir sind uns
doch in einem einig: Was technisch machbar ist, wird probiert. Warum also soll
heutzutage niemand dran basteln, die Menschen zu beeinflussen, zu manipulieren,
auf ihre Psyche einzuwirken? Wie auch immer. Oder …«, er blätterte wieder in
seinen
Weitere Kostenlose Bücher