Trugschluss
etwas
so, wie es war.«
Braunstein nahm wieder einen Schluck. »Die
Menschheit ist verrückt«, stellte er fest, »wir basteln wirklich an der
Schöpfung rum. Aber wer will’s verhindern? Tun wir’s nicht, tun’s die andern.
Es tun doch alle so, als ginge das, was man anrichtet, den Nachbarn nichts an.«
»Das Schlimme ist«, bekräftigte die Frau, »kluge
Köpfe entdecken etwas – und sogleich wird’s ausprobiert. Koste es, was es
wolle.«
»Ist dir klar, dass wir uns für eine
solche Diskussion an historischem Ort befinden?« Er wollte das ernste Thema
beenden.
Manuela verengte die Augenbrauen. »In Ulm?«
Er nickte: »Hier ist Einstein geboren.«
Sie konnte nicht mehr antworten, weil sie
in diesem Moment die beiden Besucher kommen sah, auf die sie gewartet hatten.
Mike Linkohr war begeistert gewesen, mit dem »großen Kommissar«
wieder mal auf die Alb rauf fahren zu können – auch wenn damit das Wochenende
baden ging. Der nächtliche Nebel hatte sich nur wenig aufgelöst. Es nieselte
und die Sichtweite betrug maximal hundert Meter. In der schmalen Wohnstraße, in
der sich Lilo Neumanns Haus befand, erinnerte nichts mehr an die Ereignisse der
Nacht. Die beiden Kriminalisten wurden von einem Mann begrüßt, den Häberle als
den typischen Manager-Typ einstufte. Um die 50, randlose Brille, schwarzes
Haar. Es war Lilos Ehemann, der noch in der Nacht von seiner Dienstreise aus
Heidelberg zurückgekehrt war.
Um den Esszimmer-Tisch, den Häberle
bereits kannte, saßen zwei weitere Personen: Lilo, deren Gesicht noch immer
keine Farbe angenommen hatte, und Brobeil, der offenbar bei den Neumanns
übernachtet hatte. Die Kriminalisten schüttelten ihnen die Hände – und Häberle
stellte seinen Kollegen Linkohr vor.
Winfried Neumann holte unterdessen aus dem
Wohnzimmer noch einen Stuhl herbei und bot den neuen Besuchern Plätze an. Auf
dem Tisch standen neben einem Adventskranz mit einer bereits angebrannten Kerze
je eine Flasche Mineralwasser und Apfelsaft sowie Gläser. Neumann schenkte ein
und erkundigte sich, ob er ein Apfelsaft-Schorle mixen solle.
Häberle erkundigte sich nach Lilos
Wohlbefinden. Sie lächelte zwar, machte aber ganz und gar nicht den Eindruck,
den Überfall schon seelisch verarbeitet zu haben. Im Wohnzimmer, das erkannte
Häberle erst jetzt, war offenbar bereits ein Handwerker damit beschäftigt, die
zertrümmerte Glasscheibe der Terrassentür zu ersetzen.
»Man hat Sie noch erreicht?«, wandte sich
Häberle an Neumann, der zwischen dessen Frau und Brobeil Platz nahm.
»Ich war mit Geschäftsfreunden weg und
hatte das Handy abgeschaltet«, berichtete er, »als ich die Mailbox abgehört
hab, hab ich hier angerufen – und bin gleich los.«
»Wer hat denn gewusst, dass Sie unterwegs
waren?«, wollte Häberle wissen.
Neumann überlegte kurz. »Na ja, einige
meiner Geschäftskollegen, wahrscheinlich auch einige Bekannte und Freunde,
denen wir das am Wochenende gesprächsweise erzählt haben.«
»Kommt es öfters vor, dass Ihre Frau
alleine ist?«
»Zwei-, dreimal im Monat, ja«, erklärte
der Angesprochene, »unser Gebiet reicht bis nach Skandinavien und Sizilien.«
»Ihr Gebiet?«, fragte der Kriminalist
während sein Kollege Linkohr damit begann, Notizen zu machen.
»Elektronische Bauteile«, erklärte
Neumann, »wir produzieren für die Computerbranche, harter Konkurrenzkampf,
Verdrängungswettbewerb. Einer schlägt den andern tot.« Er lächelte gezwungen,
nachdem er wohl bemerkt hatte, dass derlei Formulierungen im Beisein eines
Kommissars nicht gerade angebracht waren.
»Sie produzieren hier … hier in
Deutschland?«, zweifelte Häberle.
»Ja, noch. Oder sagen wir: zu einem Teil,
ja, drüben in Böhmenkirch, zwanzig Mitarbeiter.« Er stockte kurz. »Der Großteil
der Produktion ist in Kosice, Slowakei, ziemlich weit hinten, ganz in der Nähe
der Tatra. Sehr günstiges Investitionsklima.«
»Nun hat ja der Anrufer heut Nacht den
Brummton erwähnt …« Der Kriminalist wollte das Gespräch auf jenes Thema
bringen, das auch dem Pfarrer vorige Nacht auf den Nägeln gebrannt hatte.
Lilo schien plötzlich aus ihren Gedanken
zurückzukehren. »Der bringt mich um, wenn wir da dran weitermachen.« Ihre Augen
waren wieder starr und glasig. Ihr Mann legte eine Hand auf ihren Oberarm.
»Frau Neumann steht noch unter dem
Eindruck des Geschehens«, warf Brobeil ein und nahm einen Schluck Wasser.
Häberle verschränkte die kräftigen
Oberarme vor dem voluminösen Bauch und
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